"Begegnung im Gespräch" – Sylvia Löhken und Tom Peters

Klatsch ist ein No-Go. Selbst leidenschaftliche Tratscher outen sich ungern als solche. Und doch reden wir mehr als ein Drittel der Zeit über andere. Unerhörtes Benehmen, skandalöse Affären, heimliche Laster – unser Gehirn verspeist diese Info-Leckerbissen mit Vorliebe. In Begegnung im Gespräch sind sich Sylvia Löhken und Tom Peters in puncto Klatsch einig: schlechter Ruf, wichtige Aufgabe. Warum Klatsch nicht nur böse ist und was er mit Begegnungen im Gespräch zu tun hat, erfahren Sie jetzt.

 

Klatsch hat zu Unrecht einen miesen Ruf

Die Anziehungskraft, die Klatsch ausübt, hat einen sehr soliden Grund, der wie beim Small Talk in ferner Vorzeit liegt. Stießen früher Menschen auf andere, konnte eine falsche Einschätzung fatal sein. War der herannahenden Gruppe zu trauen? War es gefährlich, den fremden, harmlos wirkenden Einzelgänger in der eigenen Höhle (oder später: Hütte) übernachten zu lassen, bevor er weiterzog?

Die Informationen, die über Klatsch und Tratsch hereinkamen, hatten bei all diesen Unwägbarkeiten einen großen Wert und konnten wichtig für das Überleben der ganzen Gruppe sein. Deshalb tauschten sich Menschen sowohl über Nachbarn als auch über Fremde aus und legten so Informationen mit dem Ziel zusammen, sich gegenseitig Sicherheit zu verschaffen.

Vorteile für >>Klatschende<<

Im Flur eines Mehrfamilienhauses

Schulze: Diese neuen Nachbarn von gegenüber: Haben Sie die schon kennengelernt?

Kobald: Noch nicht. Aber Frau Hechel wohnt ja unter ihnen. Und die meint, dass die eine Menge merkwürdigen Besuch bekommen. Alle dunkel gekleidet. Und alle schweigsam wie sonst was. Die reden mit niemandem.

Schulze: Hoffentlich haben die in der Wohnungsgesellschaft genau hingeguckt.

 

Am sichersten fühlten und fühlen sich Menschen, wenn die anderen in ihrer Umgebung so sind wie sie. Verhalten, das abweicht oder unverständlich ist, macht misstrauisch und ängstlich. Damit haben wir einen guten Grund dafür, dass der Klatsch überall auf der Welt praktiziert wird. Der Austausch über Fremde wie Bekannte konnte früher und kann heute überlebenswichtig sein. Einem Dieb auf den Leim zu gehen – das konnte die Vorräte kosten, die die Menschen durch den Winter bringen sollten. Und heute kann es unser Erspartes sein, das ein Betrüger uns mit einer »todsicheren« Vermögensanlage abschwatzt. Einem vermeintlich harmlosen Menschen Gastfreundschaft gewähren, der den Gastgeber dann mit der herbeigerufenen Horde aus Höhle oder Hütte vertrieb – das konnte obdachlos machen. Da hat dann jemand die falsche Person ins Haus gelassen: Das kann auch heute übel enden.

Die Liste möglicher Risiken mit Unbekannten ist lang: Der schmucke junge Mann entpuppt sich als Wüstling, die nette Nachbarin benimmt sich so merkwürdig, der Sohn des gemeinsamen Freundes hat so komische Freunde. Das Tratschen kann dabei als Frühwarnsystem dienen. Nein, es ist nicht nett, über andere herzuziehen. Aber wir lernen, vor wem wir uns rein vorbeugend lieber in Acht nehmen sollten. Die hinter der Hand geteilten Informationen geben uns Aufschluss: Wie zuverlässig sind bekannte und unbekannte Menschen? Wer will schnorren? Wer könnte uns gefährlich werden?

Soziale Leitplanken für »Beklatschte«

Auch seitens der »Beklatschten« gibt es einen Sicherungseffekt: Wer zu erwarten hat, dass andere über ihn lästern, der kann einen Anreiz spüren, sich lieber regelkonform zu verhalten, als zum Gegenstand von Klatsch zu werden. Weil viele sich genau davor fürchten, übt die Praxis vor allem in kleinen Gemeinschaften eine soziale Kontrolle aus, nach dem Motto: Handle, wie wir es erwarten, oder wir zerreißen uns das Maul über dich.

Der Nutzwert des Klatschgesprächs reicht dabei sogar noch weiter. Manfred Milinski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön, berichtet aus seiner Forschung: »Wenn man sich beobachtet fühlt, handelt man uneigennützig, weil man hofft, sich durch seinen so erworbenen guten Ruf die Unterstützung der anderen für den Notfall zu verdienen.« Früher konnte in Krisenfällen von diesem guten Ruf das eigene Leben abhängen wie beispielsweise bei der Hexenverfolgung. Doch auch heute legen Menschen viel Wert auf ihren guten Ruf. Gerade diejenigen, die stark im Rampenlicht stehen, scheuen auch moderne Hexenjagden.

Fassen wir bis hierher zusammen: Klatsch hat wichtige Aufgaben. Er sichert gleich doppelt die sozialen Regeln ab: seitens der Akteure und seitens derer, die Gesprächsgegenstand werden.

Klatschen als Vertrauensbeweis

Klatsch hat noch eine andere Funktion. Wer miteinander tratscht, signalisiert Vertrauen und macht dem Gegenüber ein Kompliment, das etwa so klingt: Ich halte dich für eine Person, mit der ich etwas Heikles besprechen kann.

Insofern haben die Small-Talk-Ratgeber von heute recht: Wenn wir Vertrauen erst noch grundsätzlich schaffen müssen, ist Klatsch nicht das richtige Register. Wenn es aber da ist, festigt und bestätigt das Reden über andere das Binnenverhältnis zwischen den Klatschenden. Es wirkt wie ein sozialer Kitt. Wer am Klatsch in der Teeküche nicht teilhat, ist von diesem Miteinander ganz offensichtlich ausgeschlossen. Die Gruppenmitglieder dagegen, die gemeinsam lästern, fühlen sich danach stärker miteinander verbunden.

Im schlimmsten Fall kann das Reden über andere so zur Waffe werden: als Machtmittel, um Abwesende in ein schlechtes Licht zu stellen oder sie gar zu schädigen – bis hin zum Mobbing.

Was genau, werden Sie sich an dieser Stelle vielleicht fragen, hat der Klatsch in einem Buch über Begegnungen im Gespräch zu tun? Wir haben zwei Gründe dafür. Zum einen reden Menschen in ihren Gesprächen mehr als ein Drittel der Zeit über andere Menschen – und zwar Männer wie Frauen, Junge wie Alte. Wenn wir Gespräche genauer ansehen, gehört das Reden über andere also notwendigerweise dazu.

Zum anderen ist Klatsch ja nicht notwendigerweise böse. Wie Sie gesehen haben, schafft er unter den Klatschbrüdern und -schwestern Vertrauen und Zusammenhalt. Wir beobachten, dass Klatsch unter drei Bedingungen Begegnungen schafft: erstens, wenn er von der inneren Haltung der Menschenfreundlichkeit begleitet ist. Zweitens, wenn er mit Humor gewürzt ist (inklusive Lachen über uns selbst), drittens, wenn er nicht wichtigtuerisch daherkommt.

Die Autoren:

Sylvia Löhken

Dr. Sylvia Löhken ist einem breiten Publikum als Expertin für intro- und extrovertierte Kommunikation bekannt. Sie hilft Menschen, sich selbst und andere besser zu verstehen und mit dem, was sie sind, erfolgreich zu sein: an Hochschulen und Forschungsinstituten, in Führungsetagen und auf Kongressen, in Konferenzräumen und im Zusammenleben mit anderen. Sylvias Ausgangsfrage ist: Wie gestalten wir unser Leben am besten als die Persönlichkeiten, die wir sind? Das Thema Gespräche treibt sie dabei schon lange um. Sylvias Bücher über intro- und extrovertierte Kommunikation (alle bei GABAL erschienen) sind mit 25 Sprachen und über 500.000 verkauften Exemplaren internationale Bestseller. Sie trugen entscheidend dazu bei, den „kleinen Unterschied“ zwischen Intro- und Extrovertierten zu etablieren. Auch die Medienresonanz war und ist groß, bis hin zu Coverstorys in Der Spiegel und Psychologie heute, Interviews in Brigitte, El País oder Madame Figaro, im Deutschlandradio und im NDR, im Handelsblatt und in Psychologies sowie Fernsehauftritten im ZDF und ORF.
Sylvia Löhken arbeitet weltweit mit Menschen als Coach, Trainerin und Rednerin. Zu Hause in Bonn umgibt sie sich gern mit guten Büchern, Menschen, die mehr Fragen als Antworten haben, und einem Mantel aus Ruhe.

Tom Peters

Tom Peters hat drei Leben: das künstlerische eines Profi-Musikers, das seelsorgerlich-therapeutische eines ordinierten evangelischen Theologen und Pfarrers und das eines Unternehmers. Nach seinem Ersten Theologischen Staatsexamen und Studien der Philosophie und Vergleichenden Religionswissenschaften, schloss Tom seine Klavier-, Orgel- und Kompositionsstudien an deutschen Musikhochschulen in Köln und Rostock ab. Tom war als Pfarrer, als Hochschuldozent und als Lehrer in der Hochbegabtenförderung tätig. 2002 folgte die Gründung des eigenen Unternehmens Musikstudio Peters Bonn, gefolgt vom Raum für seelsorgerliches Handeln, den Tom zwischen kirchlicher und psychologischer Praxis orientiert.
Seine künstlerische und seelsorgerliche Arbeit macht Tom zu einem vielgefragten Begleiter und Berater in Lebensfragen. Er konzertiert international mit einem breiten Repertoire in Klassik und Jazz.