"Disruptive Thinking Work- und Playbook" von Dr. Bernhard von Mutius

Wie programmieren wir unser Mindset auf disruptives Denken? Das enthüllt der Zukunftsvisionär Dr. Bernhard von Mutius in Disruptive Thinking Work- und Playbook. Von der mentalen Herausforderung über die strategische, die organisationale bis zur kulturellen Herausforderung beschreibt jedes Kapitel eine Etappe auf dem steilen Weg hin zum disruptiven Denken. Es gilt, umzudenken, Grundannahmen zu hinterfragen und umzukehren. Gehen Sie jetzt ins Basecamp mit Dr. Bernhard von Mutius.

Basecamp – wie können Sie das nutzen?

»Basislager« heißt, sich vorzubereiten auf die kommende Tour, sich zu akklimatisieren, die zu erwartenden Schwierigkeiten und Höhepunkte gedanklich durchzuspielen, die Ausrüstung ein letztes Mal zu überprüfen und noch einmal durchzuatmen vor dem Aufstieg.

Das ist natürlich eine Metapher. Man kann jedoch tatsächlich mit einem Team ein paar Tage in ein Basislager gehen. Zum Beispiel in ein Domizil in den Bergen. Wir haben das einmal zum Auftakt eines mehrteiligen Leadership-Programms gemacht. Auf diese Weise haben wir von Anfang an einen Kontext geschaffen, in dem Themen wie Ungewissheit, Umgang mit Komplexität und Verlässlichkeit unter schwierigen Bedingungen für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer plastisch vorstellbar wurden. Aber nun ein paar mentale Übungen, Methoden und Tools für Ihren Weg zum disruptiven Denken:

Nichtwissen als Ressource

Der professionelle Dialog ist eine einfache und sehr wirksame Möglichkeit, auf neue Gedanken zu kommen und gemeinsam Probleme zu lösen. Hier möchte ich eine Übung herausgreifen, die besonders machtvoll ist.

Zu einem professionellen Dialog gehört die Fähigkeit, so mit Fragen zu arbeiten, dass diejenigen, die bislang keine Lösung für ein Problem gefunden haben, selbst auf eine Lösung kommen. Es gehört zu den besonderen Momenten in diesem Prozess, wenn plötzlich eine Frage auftaucht, auf die keiner der Beteiligten eine Antwort weiß. Diese Momente des Nichtwissens führen oft dazu, dass es ganz still wird. Es wird nicht mehr geredet, sondern gemeinsam nachgedacht. Das kann einige Sekunden dauern. Und jeder empfindet diese Sekunden als sehr wertvoll. Denn plötzlich tun sich neue Wege auf, die vorher nicht erkennbar waren. Man spürt förmlich, wie der Lösungsraum größer wird. Das Nichtwissen wird zur Ressource.

Die untenstehende Abbildung – eine Vier-Felder-Matrix – macht dies deutlich: ein Tool, das förmlich die Augen öffnet.

Den Lösungsraum öffnen

Versuchen Sie einmal darauf zu achten, wie Sie mit Kollegen im Team, unter vier oder sechs Augen, den Lösungsraum erweitern können:

  • Beginnen Sie mit Fragen, die dem Beziehungsaufbau dienen oder (im positiven Sinn) rhetorischer Natur sind. (Vergewissern Sie sich zum Beispiel, ob die anderen einen guten Flug oder eine gute Fahrt hatten oder gut hergefunden haben.)
  • Stellen Sie zunächst informative Fragen. (Das sind Fragen, deren Antwort Sie nicht kennen, aber der andere oder die anderen.)
  • Vermeiden Sie Suggestivfragen. (Das sind Fragen, mit denen Sie die anderen zwingen, die Antwort zu geben, die Sie gerne hätten, also Fragen, die im Ton eines Staatsanwaltes gestellt werden: »Sie waren doch aber zu diesem Zeitpunkt an diesem oder jenem Ort …«)
  • Versuchen Sie nach einer Weile, systemische Fragen zu stellen. Hier geht es um Fragen, deren Antwort Sie nicht kennen – und die anderen in der Runde vermutlich auch nicht. Zeigen Sie, dass Sie wirklich daran interessiert sind, gemeinsam etwas zu finden, das Sie alle noch nicht kennen. Üben Sie sich darin, solche Fragen zu stellen.

Ein Tipp: Hängen Sie diese Zeichnung in das Sitzungszimmer bzw. Besprechungs- oder Projektarbeitsräume.

Der schwarze Strich – das Andere sehen

Widersprüche produktiv machen: Wie geht das? Geht das überhaupt?

Widerspruchsfreiheit ist doch ein sinnvolles Gebot. Oder?

Etwa in der klassischen zweiwertigen Logik, in den Grundlagen der Informatik, in den Technikwissenschaften. Zudem schätzen wir es selten, wenn jemand uns widerspricht – oder sich widerspricht. Wir »ertappen« jemanden, der dies tut. Staatsanwälte und Verteidiger sind darin geschult, Widersprüche aufzudecken. So stellen sie die Glaubwürdigkeit der anderen Seite infrage. Es scheint, als ob nur die eine oder die andere Seite recht haben kann.

Das führt dann im Alltag oft zu den bekannten, erbittert ausgetragenen Gefechten. Wie zum Beispiel im aktuellen Streit um das Auto. Jede Seite beharrt auf ihrer Position. Und so schaukeln sich die Debatten hoch …

Widersprüche produktiv machen heißt, zunächst einmal einen Schritt zurückzutreten. Die Dinge mit etwas Distanz zu betrachten. Wie häufig sind Positionen, die unverrückbar schienen, mit der Zeit aufgeweicht worden und haben irgendwann der Gegenposition weichen müssen! Denken Sie nur an das Zinsverbot der katholischen Kirche, das lange Zeit unverrückbar schien, bevor es allmählich von den innovativen »Banchieri« der florentinischen Renaissance ausgehebelt wurde.

Ich werde manchmal gefragt, wie man diese Fähigkeit, mit Widersprüchen produktiv umzugehen, trainieren kann. Ich antworte: Nehmen Sie ein leeres Blatt, nehmen Sie einen Stift und ziehen Sie in der Mitte einen Strich von oben nach unten. Einen senkrechten Strich. Ein schwarzer Strich ist am markantesten, aber andere Farben gehen auch. Jetzt können Sie beginnen.

Der schwarze Strich

Der Strich markiert eine Grenze. Diesseits notieren wir als Erstes Dinge, die wir für »in«, für normal, regelkonform, akzeptiert, richtig halten. Jenseits all die Dinge, die dem widersprechen.

Schreiben Sie einfach spontan ein oder zwei Begriffspaare auf:

Besonders spannend wird diese Gegenüberstellung, wenn wir den historischen Verlauf mit in Rechnung stellen. Wir werden in vielen Fällen sehen, dass irgendwann ein Seitenwechsel stattfand.

Der Widerspruch ist spannend. In der Spannung steckt Energie. Plus und Minus. Nicht nur Plus oder nur Minus. Wir sprechen nicht zufällig von Spannungsfeldern. Die Realität ist in Natur und Gesellschaft oft uneindeutig, schwankend und auf dem Sprung, etwas anderes zu werden. Eine Bewegung stimuliert eine Gegenbewegung. Es geht um »Actio« und »Reactio«, wie es der Mitbegründer der Immunologie und erste Nobelpreisträger für Medizin,

Emil von Behring, einmal formuliert hat.

In den Widerspruchsbewegungen entsteht das Neue, hier spielt die Musik der Kreativität. Das ist das Thema, das sich durch das disruptive Denken wie ein Leitmotiv hindurchzieht. Deshalb: Ziehen Sie noch einmal einen Strich von oben nach unten. Wählen Sie dann einen der folgenden unvollständigen Sätze und ergänzen Sie ihn:

Hier ein paar Anregungen:

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Arbeit je von einer Maschine ausgeführt wird.
  • Bargeldloses Zahlen ist die Ausnahme.
  • Farmen gibt es nur auf dem Land.

Den von Ihnen vervollständigten Satz schreiben Sie auf die linke Seite des Striches. Formulieren Sie dazu eine gegenteilige Aussage. Und scheiben Sie diesen gegenteiligen Satz auf die rechte Seite. Diese Gegenüberstellung ist oft der Anfang von etwas Neuem. Sie verrücken die bisherige Position. Sie beginnen das Spiel zu drehen. Es kommt Bewegung in die Sache. Das werden wir später bei dem so genannten »T-Canvas« noch ausbauen.

Je häufiger wir uns mit den anderen, uns fremden Seiten der Dinge beschäftigen, desto eher lernen wir spielerisch zu antizipieren.

Der Autor

Dr. Bernhard von Mutius, Sozialwissenschaftler und Philosoph, ist inspirierender Redner und Führungscoach. Der Zukunftsdenker und Trainer des Jahres 2018, der namhafte deutsche und internationale Unternehmen berät, beschäftigt sich v. a. mit den Schwerpunkten Zukunft, Führung im 21. Jahrhundert und digitale Transformation. Er ist Senior Advisor und Mitglied im Teaching Team der HPI School of Design Thinking in Potsdam, Mitbegründer der Denkbank, Gründungsmitglied des »New Club of Paris«, Beirat der „Club of Rome“-Schulen, Mitwirkender im Netzwerk „Denkwerk Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung“, Mitbegründer von “Unternehmen: Partner der Jugend“ (UPJ) und Vorsitzender des „Bergweg-Forum Denken der Zukunft“. Darüber hinaus ist Bernhard von Mutius Autor mehrerer Publikationen zu neuem, vernetztem Denken und zu Transformationsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft.