"Der bewusste Leader" von Nicholas Pesch
In „Der bewusste Leader“ stellt Nicholas Pesch seinen einzigartigen Ansatz aus vertikalem Lernen, Meditation und Embodiment vor, der Leader auf ihrem Weg zu Mind Movement Mastery begleitet – dem Schlüssel zu einem integrierenden und transformationalen Führungsstil. Denn wir brauchen Führungskräfte, die über den Tellerrand hinausblicken, die grenzüberschreitend wahrnehmen, denken und handeln. Dafür braucht es sowohl horizontales als auch vertikales Lernen. Was es damit auf sich hat und worin der Unterschied besteht, erklärt Nicholas Pesch in der Leseprobe.
Vertikales Lernen – wenn das Glas voll ist
Etwas neu zu erfinden bedeutet ja, eine abgeschlossene Entwicklung entweder in umwälzendem Maß fortzusetzen oder sie durch etwas komplett Neues auszutauschen. Wenn wir dieses Wortbild auf Menschen anwenden, sind die »fertigen« Personen die Erwachsenen. Adult Development – die Weiterentwicklung oder innere Transformation von Erwachsenen – ist ein zentrales Thema in der Forschung zur »transformationalen Führung«. (Was darunter zu verstehen ist, erkläre ich im Kapitel »Transformationale Führung: ein zukunftsweisender Entwurf«). Hier genügt es zu wissen: Vertikales Lernen ist das Vehikel dafür, sich mental, emotional und charakterlich weiterzuentwickeln.
Um sich den Unterschied zwischen horizontalem und vertikalem Lernen zu verdeutlichen, stellen Sie sich am besten vor, Sie wären ein Gefäß. Wenn Sie horizontal lernen, dann erhöhen Sie darin den Pegel Ihres Wissens, verändern also, was Sie denken. In jeder Weiterbildung erfahren Sie mehr über Computertechniken, Markttechniken, Gesprächstechniken, Zeitmanagementtechniken … Sie erhöhen somit Ihr funktionales Wissen und verbessern Ihre Fertigkeiten. Zum Lösen klar definierter Probleme in einem wenig vernetzten Umfeld ist horizontales Lernen ideal.
Durch vertikales Lernen indes vergrößert sich das Gefäß – der Raum, in dem Sie Ihre Kompetenzen erweitern können. Sie entwickeln mentale Komplexität sowie emotionale und soziale Kompetenz für einen weiseren und achtsameren Umgang mit Mitarbeitern und anderen Ressourcen. Vertikales Lernen verbessert die Art und Weise, wie Sie denken, bestimmte Sachverhalte deuten und Sinn stiften. Sie wechseln leichter in neue Perspektiven, erweitern Ihren Blickwinkel und nehmen mehr wahr. Das macht Sie klüger, fürsorglicher und weiser.
Auf den Punkt gebracht: Horizontales Lernen entwickelt Kompetenzen. Vertikales Lernen entwickelt das Mindset, das heißt unsere Weltsicht, aus der heraus wir Bedeutung geben und mit Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit souveräner umgehen können (siehe Abb. 3).
Mind Movement Mastery beinhaltet das eine wie das andere. Ein Leader mit Mind Movement Mastery fördert Wissen, Fertigkeiten und Verhalten, die dem Erreichen des gemeinsamen Ziels dienen, und das nicht nur bei anderen, sondern auch bei sich selbst. Mindestens ebenso wichtig ist ihm das vertikale Lernen aller Beteiligten, damit jeder für sich, für andere und für das Unternehmen klüger agiert.
Die noch junge Wissenschaft des vertikalen Lernens ist eine grenzüberschreitende Disziplin, die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie miteinander vereint. Sie zeigt messbar bessere Ergebnisse im Vergleich zur rein horizontalen Weiterbildung. Damit sich Verhalten nachhaltig ändert, damit es also nicht nur bei guten Neujahrsvorsätzen bleibt, muss man zunächst die mentalen Grundroutinen für den Geist und die Gefühle ändern, die ich oben als Mind Operating System bezeichnet habe. Nur durch ein Update Ihres MindOS erlangen Sie die Bewusstheit, mittels der Sie sich und die Welt klarer wahrnehmen. Das ist die Voraussetzung für Subjekt-Objekt-Beziehungen zwischen sich und Ihren Big Assumptions: Sie können dann selbst entscheiden, was aus Ihrem mentalen Rucksack Sie entsorgen.
Wie wissenschaftliche Studien zeigen, ist vertikales Lernen nicht zwingend an ein Coaching gebunden. Einigen Menschen gelingt die Selbsttransformation auch auf autodidaktischem Weg recht gut. Mithilfe eines guten Coachs, der mit Methoden des vertikalen Lernens arbeitet, lässt sich der Prozess aber bis um das Fünffache beschleunigen.
Das deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen. In fast jedem Menschen ist die höhere Komplexität von Geist und Herz unterschwellig vorhanden. Aber man muss diese gleichsam »freischalten« wie eine SIMKarte, die bereits in einem Handy steckt. Ein Coaching weist dabei den Weg wie eine Bedienungsanleitung für den Geist.
Natürlich darf es nicht bei der inneren Transformation bleiben. Die Integration von Vielfalt und Vernetzung erfordert ebenso ein Ändern der Organisationsstrukturen, der Abläufe, der Art zu kommunizieren und der Produkte. Die Frage wird nicht sein, ob Millionen von Führungskräften ihr Denken grundlegend ändern müssen, sondern wann dies geschehen wird.
Das Erfreuliche an dieser Nachricht: Wir haben alles, was wir für diese Selbsttransformation brauchen. Wir müssen nur die Zügel in die Hand nehmen und andere dabei unterstützen, es uns gleichzutun. Je mehr Menschen ihr ganzes Selbst in die Gestaltung einer besseren Zukunft einbringen, desto größer ist das Erbe, das wir an unsere Kinder weitergeben.
Der Autor
Nicholas Pesch (München) kennt beide Welten – die des Top-Managements und die der Meditation und Spiritualität. Als langjähriger Manager trug er Verantwortung für mehr als 1.000 Mitarbeiter, als Sinnsucher praktiziert er seit über 20 Jahren intensiv Meditation. Seine These: Wenn es gelingt, beide Welten zu vereinen, können wir auch im hektischen Businessalltag Sinn, Ausgeglichenheit und Freude erfahren und zugleich wirtschaftlich erfolgreich sein. Als Top-Executive-Coach, Unternehmensberater und Speaker unterstützt der studierte Sozialwissenschaftler mit seinem Ansatz Mind Movement Mastery, in dem er Elemente aus Vertical Development, Meditation und Embodiment verbindet, Entscheider und Führungskräfte rund um den Globus.