"Spielregeln für Game Changer" von Kerstin Friedrich

Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen – durch Unternehmer- und Finanztraining? Die Begeisterung dafür dürfte sich in Grenzen halten. Das Schmiermittel der Wahl: Gamification. Und zwar mit Scoreboard-Management (SBM). Diese Methode verwandelt Unternehmensführung nicht nur in ein großes Game, sondern entfesselt auch den Teamspirit. Durch SBM bekommen blinde Mitarbeiter den Durchblick und können mit klarer Sicht selbstständiger entscheiden. Verhaltensweisen über Nacht ändern? Kein Problem. SBM wirkt sofort – gegen Bürokratie, Langeweile und Dienst nach Vorschrift. „Spielregeln für Game Changer“ von Kerstin Friedrich macht Lust, sich eigenen Team-Challenges zu stellen. So viel zur Theorie. Jetzt ein Praxisbeispiel.

Aufgaben gamifizieren. Teamgeist aktivieren.

Es stammt von der Markenagentur Kaapke. Timo Kaapke beschloss im Jahr 2016, seine Agentur über Open-Book-Management und Gamification neu aufzustellen. Das Team startete in dieses System, indem es erst einmal eine Liste mit all den Punkten erstellte, die einigen oder vielen auf die Nerven gingen. Es ist günstig, mit einem Punkt einzusteigen, der viele negative Emotionen erzeugt, weil hier die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich tatsächlich viele für eine Veränderung engagieren. Auf der Liste standen zahlreiche kleine und große Themen – eher harmlose wie »Es stehen zu viele halb leere Flaschen rum« über »Wir verbrauchen viel zu viel Papier« bis zu »Unsere Meetingkultur ist schrecklich«. Das Thema »Meetings« machte schließlich das Rennen, weil es mehr oder weniger allen übel aufstieß. Das Ziel war es also, eine Challenge zu konstruieren, die die Meetingqualität verbessern sollte.

Im nächsten Schritt einer Team-Challenge findet man ein Messsystem. Das macht eine Gruppe, die sich freiwillig dafür meldet, die Challenge aufzusetzen. Meist sind das die Leute, die die größte Motivation haben, dass sich etwas verändert. So ein Team funktioniert am besten abteilungs- und hierarchieübergreifend.

Um Meetingqualität messen zu können, muss man natürlich zunächst Kriterien definieren, die ein gutes Meeting ausmachen. Die Gruppe formulierte folgende Qualitätsmerkmale: Ein gutes Meeting …

● fängt pünktlich an,

● hört pünktlich auf,

● hat ein klar definiertes Ziel, das zu Beginn angesagt wird,

● bleibt beim Thema,

● verläuft ohne Störungen durch Telefonate oder Ähnliches,

● zeichnet sich durch einen wohlwollenden Umgangston aus,

● ist wertvoll für den Kunden,

● schließt mit klaren To-dos.

Jedes dieser Kriterien bekam nun einen Punkt – jedes Meeting konnte also maximal acht Punkte erreichen. Das Kaapke-Team setzte außerdem Spielregeln auf, die Antworten auf folgende Fragen gaben: Wann gilt ein Treffen als »Meeting«? Wer bestimmt, ob das jeweilige Kriterium erfüllt wurde (alle Teilnehmer)? Wie oft werden die Ergebnisse nachgehalten und die Punkte gezählt (einmal pro Woche)? Wie lange soll das Spiel dauern? Dann brauchte die Challenge noch einen guten Namen: »meet & win« wurde sie getauft.

Das Team beschloss, dass die Challenge sechs Wochen laufen sollte. Da die Gruppe ungefähr wusste, wie viele Meetings es pro Tag und pro Woche im Durchschnitt gab, konnte sie sich realistische Ziele setzen. Dazu wurden unterschiedliche Erfolgsstufen definiert. In der ersten Stufe, die also das Minimalziel darstellte, standen am Ende der sechs Wochen 100 Punkte. In der zweiten Stufe waren es 200 Punkte und in der dritten Stufe – die das ehrgeizigste Ziel repräsentiert – 400 Punkte.

Wichtig ist, dass sich das Team diese Ziele immer selbst setzt! Es geht nicht darum, dass Vorgesetzte dieses System missbrauchen, um ihre eigenen Ideen und Vorstellungen durchzudrücken. Dann kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Team schnell durchschaut, dass die Gamifizierung nichts anderes ist als eine Manipulationsmethode. Ausnahmen bilden Challenges, die lebensbedrohliche Situationen abstellen sollen. Wenn das Unternehmen seinen Cashflow um mindestens 20 000 Euro pro Monat verbessern muss, um zu überleben, braucht das Team eine klare Orientierungsgröße für das Mindestziel.

Auf einer Checkliste wurden alle Kriterien festgehalten, die am Ende des Meetings bewertet werden mussten. Diese Checkliste wurde in jedes Meeting mitgenommen und am Ende ausgefüllt. Dabei galt das Einstimmigkeitsprinzip: Wenn nur eine Person fand, dass das Meeting nicht wertvoll für den Kunden war, gab es keinen Punkt.

Die Checkliste zur Bewertung der Meetingqualität

Das Scoreboard

Jede Team-Challenge braucht ein »Scoreboard«, also ein Medium, mit dessen Hilfe alle jederzeit sehen können, wie erfolgreich das Team gerade ist. Bei Kaapke war es eine Plexiglasröhre. Außen an der Röhre wurden die Gewinnstufen und die Prämien markiert: Bei 100 Punkten sollte es Smoothies für alle geben, bei 200 Punkten eine After-Work-Party und bei 400 Punkten einen mobilen Basketballkorb. Während der wöchentlichen Auswertung der Checklisten wurde für jeden Punkt eine grüne Glaskugel eingeworfen. Jede Gewinnstufe wird in diesem System gebührend gefeiert.

Neben dem Scoreboard ist das sogenannte Huddle der Dreh- und Angelpunkt einer Team-Challenge. Ein Huddle ist im American Football eine Versammlung der Spieler vor dem nächsten Spielzug, um die weitere Strategie abzustimmen. Und vergleichbar damit kam das gesamte Team einmal in der Woche für kurze Zeit zusammen, um den Fortschritt der Challenge zu besprechen: Wie viele Punkte haben wir erreicht? Was läuft gut? Woran kann noch gearbeitet werden? Das Huddle ist aber auch dazu da, sich über die gemeinsamen Erfolge zu freuen.

Es ist wohl in den Betrieben sehr verbreitet, dass nur wenige Leute wirklich gern an Meetings teilnehmen. Und in den meisten wird mangels Disziplin eine ungeheure Menge Zeit verschwendet. Wo Regeln aufgestellt werden, werden diese kurze Zeit eingehalten, doch wenig später ist meist wieder alles beim Alten.

Bei Kaapke hingegen passierte das, was praktisch immer passiert, wenn eine Challenge sauber aufgesetzt wird: Das Verhalten änderte sich von einem Tag auf den anderen. Und dabei blieb es – und zwar dadurch, dass …

● weiterhin der Fokus auf dem Thema lag,

● alle Regelverstöße sofort bemerkt wurden,

● alle erleichtert waren, dass die Meetings endlich wesentlich kürzer und effektiver wurden,

● sich durch das regelmäßige Zählen der Punkte im Huddle das gesamte Team als Sieger fühlen konnte.

Das alles geschah ohne das Eingreifen von Vorgesetzten oder Druck von oben. Nach sechs Wochen wurde Bilanz gezogen: Die höchste Gewinnstufe wurde erreicht und die Qualität der Meetings hatte sich deutlich verbessert – was allein schon daran abzulesen war, dass rein rechnerisch Arbeitszeit im Wert von mehr als 10 000 Euro eingespart wurde. Dieser Betrag wurde im Rahmen des Finanztrainings ermittelt, das sich an jede Challenge anschließt. Es gab den einen oder anderen Aha-Effekt, als der Vollkosten-Stundensatz pro Mitarbeiter offengelegt wurde. Damit konnte man leicht ausrechnen, wie viel Zeit und Geld beispielsweise gespart wird, wenn ein Meeting mit sechs Teilnehmern zehn Minuten kürzer ist als bis dato. Und die Information über den rechnerisch eingesparten Betrag von 10 000 Euro machte jedem klar, dass sich schlechte Meetingqualität über das Jahr gerechnet auf einen riesigen Betrag summiert. Allein dieses Wissen schafft ein anderes Bewusstsein und eine Verhaltenssteuerung. Und natürlich hatte sich auch die Stimmung in den Meetings verbessert. Nachdem das offizielle Punktezählen vorbei war, blieben die Checklisten noch lange Zeit Bestandteil der Meetings.

Die Autorin

Dr. Kerstin Friedrich, Ökonomin und Psychologin B. Sc., ist seit 1991 Strategieberaterin. Friedrich gilt als führende Autorität für die Engpasskonzentrierte Strategie (EKS) und ganzheitliche Spezialisierungsstrategien. Sie hat 25 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Umsetzung von Strategien in kleinen und mittleren Unternehmen. Friedrich ist Autorin mehrerer Longseller, darunter u.a. „Das große 1x1 der Erfolgsstrategie" (zusammen mit Lothar Seiwert und Fredmund Malik, 25. Aufl., erschienen bei GABAL) und Testsieger in der Kategorie „Strategie“ von managementbuch.de.