WIE ENTSCHLEUNIGT MAN RICHTIG?
Herr K. hat es nicht leicht: In seiner Jugend gab es noch kein Internet, Navi oder Smartphone, dafür aber Stadtpläne, Wählscheiben-Telefone und die DDR. Insofern bringen die modernen Lebenswelten stetig neue Herausforderungen mit sich, denen man(n) sich stellen muss ...
... heute: Entschleunigung
Montagmorgen, 6.30 Uhr, an einem deutschen Flughafen. Erster Start der Woche in die globalisierte Geschäftswelt. Herr K. wartet wie viele andere gestrafft darauf, die Welt erobern zu können. Manager, Unternehmer, Banker, Juristen, Berater auf dem Weg zu Terminen, Meetings, Konferenzen, Vertragsabschlüssen. Gleich geht’s los … gleich … also jetzt aber gleich … Dann geht es immer noch nicht los.
Eine halbe Stunde vergeht. Das Personal bittet um zehn Minuten Geduld. Rollkoffer scharren unruhig. Noch dominiert morgendliche Apathie. Noch. Nach 20 Minuten fragt der erste Urlauber am Schalter, ob er seinen Anschlussflug noch kriegt. Ein Flug-Laie. Haha! Die Umstehenden starren auf ihre Handys, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie kein Wort verpassen wollen. »Auf keinen Fall … Ja, klar … allenfalls … Minuten … das Cleaning der Maschine anscheinend …« Die Ersten bekommen diesen hadernden Wieso-passiert-das-immer-mir-Blick. SMS und Mails werden verschickt. Bei der Bahn hätten sie sich längst lautstark nach einem Verantwortlichen erkundigt.
Herr K. setzt sich wieder. Nach einer halben Stunde werden erste Krawatten gelockert. Am Schalter klingelt wieder das Telefon. »Wie, was habt ihr nicht an Bord?« Die Frau am Counter sieht aus, als würde sie regelmäßig Kolonnen sturzbetrunkener Pauschaltouristen von Mallorca nach Moskau begleiten, ohne die Contenance zu verlieren, aber nun klingt auch sie leicht entgeistert.
Offensive Blicke auf Schweizer Uhren, neueste Handys, Deckenverkleidungen. Kopfschütteln. Augenrollen. Herr K. kauft sich einen sehr teuren und sehr schlechten Kaffee. Die Lage ist ernst. So ernst, dass die Airline-Angestellte nach eineinhalb Stunden wieder um Verständnis bittet. Ein Triebwerksproblem. Irgendeine rote Warnlampe zeige im Cockpit überraschenderweise einen Defekt an. Das Diagnose-Team sei aber auf dem Weg.
Nach zwei Stunden machen sich Auflösungserscheinungen bemerkbar. Die ersten Vielflieger haben sich selbst umgebucht und laufen zu anderen Gates. Der Rest der Zwangsgemeinschaft hängt in den Sesseln, storniert Verabredungen. Sakkos zerknittern, Gesichter ebenfalls. Eine Ersatzmaschine werde bereitgestellt. Zeitnah.
Herr K. lächelt. Es ist sinnlos für ihn geworden, weiter zu warten. Selbst wenn er jetzt abhebt, werden seine Termine schon ohne ihn stattgefunden haben, wenn er landet. »Ist das Futur II?«, grübelt er, leer vor sich hin starrend. Er wird noch eine halbe Stunde hier sitzen bleiben, bevor er einfach nach Hause fährt und seine Familie kennenlernt.
Ein Dankeschön an Germanwingslufthansaairberlinundco., die solche Momente der Kontemplation durch geschicktes Flottenmissmanagement oder raffinierte Pannen-Planung immer wieder möglich machen! Montagmittag. Die Welt wird auch an diesem Tag überraschenderweise nicht zusammenbrechen.
Diese und weitere Geschichten aus dem Leben des von Thomas Tuma geschaffenen modernen Mannes Herrn K. sind ab August 2016 endlich in Buchform erhältlich!