Der moderne Mann in unsicheren Zeiten

Überhaupt ist es für einen modernen Mann nicht einfach im 21. Jahrhundert. Was ist noch sicher? Was ist noch erlaubt? Früher gab es Cognac auf der Kurzstrecke und eine Zigarette nach der Pommesschranke aus der Kantine. Selbst diese alltäglichen Rituale mussten bereits dran glauben. Wann ist der Mann da noch ein Mann? Finden Sie es im Auszug aus Der moderne Mann in unsicheren Zeiten von Thomas Tuma heraus.

Weicheier auf "Wolke vier"

Wann ist man als Mann heutzutage ein richtig moderner Mann? Wenn man mit seinem Sohn auf dem abgefressenen Stadtteil-Spielplatz Fußball spielt? Wenn man eine Waschmaschine installieren kann? Oder doch eher, wenn man seiner Gattin ohne Thermomix ein dreigängiges Abendmenü zaubert, nachdem der eigene Büro-Tag auch nur so semi-spaßig war? Herr K. fragt sich das immer dann, wenn er moderne Männer Musik machen hört.

Was in den deutschen Charts momentan ganz oben steht, hat inhaltlich etwas seltsam Verheultes, findet er. »Cro« zum Beispiel macht ja ganz gefällige Musik, aber seine Texte!? »Mein Kopf ist voller Wörter, doch es kommt nichts raus«, ist so ein typischer Cro-Satz. Da denkt sich Herr K., dass Mund-Aufmachen vielleicht mal helfen würde. Und dazu trägt Herr Cro immer eine Panda-Maske. Entschuldigung, was verrät das über einen auch nicht mehr ganz jungen Menschen, und juckt die Maske nicht sehr, wenn man schwitzt?

Authentizität scheint andererseits wichtig, deshalb heißen die Sänger heute nicht mehr Costa Cordalis oder Roy Black, sondern Andreas Bourani, Tim Bendzko oder Philipp Dittberner, der eine Weile in jedem Kaufhaus-Aufzug seine »Wolke vier« besang. Herr K. ahnt, dass diese Wolke vier repräsentativ sein könnte für eine ganze Generation von unentschlossenen Weicheiern, Beckenrandschwimmern und Jasmintee-Trinkern, die dann mit unförmiger Strickmütze durchs 17. Semester ihres Sozialpsychologie-Studiums Sitzfahrrad fahren.

Er muss das mal so böse formulieren, denn in dem Song heißt es: »Lass uns die Wolke vier bitte nie mehr verlassen. Weil wir auf Wolke sieben viel zu viel verpassen. Ich war da schon einmal, bin zu tief gefallen. Lieber Wolke vier mit dir als unten wieder ganz allein.«

Mit anderen Worten: Die Besungene ist als Wolke vier eine Notlösung, das Prinzip »Kannste nix verkehrt machen«. Quasi das Billy-Regal unter den Frauen: eher praktisch und preiswert. Auf jeden Fall besser als echte, große, mitunter schmerzhafte Gefühle. Und dazu heult Herr Dittberner seiner bemitleidenswerten Freundin auch noch von seiner Verflossenen vor, die ja drei Wolken-Kategorien besser war, aber sein »kleines Herz zerbombt« hat.

Geht’s noch uncharmanter? Also lieber gar kein Risiko mehr eingehen im Leben? »Und aussehen tut er wie ein Tofu-Taler, dieser Herr Dittberner«, schimpft sich Herr K. vor seiner Frau in Rage. Sie stehen im Supermarkt bei den Tütensuppen, »Wolke vier« tropft sämig aus den Deckenlautsprechern. »Na ja, die Helden deiner Kindheit waren auch eher dubiose Kerle«, wirft sie ein. Er schaut sie fragend an, worauf sie antwortet: »Der Gitarrist von AC/DC rannte schon vor 30 Jahren in kurzen Schulhosen über die Bühne. Und die Jungs von Kiss sahen aus wie eine Mischung aus Billig-Geishas und Ruhrpott-Drag-Queens.« Ach, wie recht sie wieder hat!

Auf dem Weg zum Halbmarathon I

Es ist nur ein Satz – aber der wird Folgen haben: »Schnabel trainiert Halbmarathon«, sagt Koslowski beiläufig am Rande irgendeines Kick-off-Meetings, dessen Thema Herr K. schon wieder vergessen hat, als der Satz fällt.

Schnabel sitzt im Vorstand und hofft auf den Chefsessel, der noch immer vom alten Reschke besetzt wird. Schnabel ist ein drahtiger Bundeswehr-Leutnant der Reserve, St.-Gallen-Alumni, Ex-McKinsey-Mann … kurz: alles, was Herr K. nicht ist. Reschke aber auch nicht. Der hat vor 48 Jahren in der Firma angefangen … »als Lehrling«. Mehr war nicht. Früher reichte das.

Schnabel war schon für vier Weltkonzerne in fünf Ländern. Und das ist nur der Job. Er raftet, mountainbiked und freeclimbed (sind das eigentlich die korrekten Verbformen für Wildwasser-Gepaddel, Fahrradfahren und Klettern?). Außerdem hat er eine sehr junge Frau, die ihn jüngst zu veganer Ernährung und Ayurveda-Kuren gebracht hat. Man weiß das alles so genau, weil der Endvierziger selten übers Geschäft, aber viel über Fitness und »Health Management« spricht.

Deshalb hat Schnabel auch diverse Firmensportgruppen gegründet – es gibt mittlerweile sogar eine Dart AG, aber die versäuft ihr Budget gern heimlich im örtlichen Bowlingcenter. Im Keller des Unternehmens ließ er ein Fitnessstudio einbauen. Dort trainiert er indes meist allein. Wer will schon neben einem sportverrückten Karrieristen auf dem Laufband verenden? Also Herr K. nicht. Bisher.

Andererseits ist sein alter Vorstandschef Reschke wohl der exemplarische Vertreter einer untergehenden Ära: ohne Allüren, ohne Ambitionen, ohne Facebook-Account. Dafür mit Übergewicht und Bluthochdruckwerten gesegnet, die jungen Assistenzärzten kalten Schweiß zwischen die Schulterblätter treiben dürften. Reschke trinkt gern mal »ein Glas Roten oder zwei oder drei«. Diese Bemerkung muss ein Vertreter der dritten Führungsebene wie Herr K. auch bei der zwanzigsten Wiederholung noch beschmunzeln.

So wie Reschke jedenfalls steigt man als Manager heute nicht mehr auf. Dynamik zeigt sich auch und gerade in Freizeitaktivitäten, Cholesterinwerten und sportlichen Höchstleistungen. Es ist ganz klar, dass Schnabels Halbmarathon quasi direkt zum Vorstandsvorsitz führen soll. Herr K. muss da endlich aufholen.

Wahre Leadership beweist man nicht mehr in der Kennerschaft von Rotwein-Jahrgängen, sondern mit dem eigenen Body-Mass-Index – und der korrekten Wahl der sportlichen Disziplin.

Vorsicht ist indes bei Individualsportarten geboten! Tennis war gestern. Das öde Rumgebolze »eins gegen eins« passt nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Oder wer spielt heute noch Squash? Es sind Sportarten, die den Egoismus der neunziger Jahre transpirieren.

Teamgeist ist heute gefragt. Nur: Welche Disziplin eignet sich dafür am besten? (Fortsetzung folgt im Buch.)

Thomas Tuma

Thomas Tuma ist nicht Herr K., was man schon daran erkennen kann, dass er zwar weniger Haare, aber keinen Büro-Kollegen namens Koslowski hat. Geboren im Südwesten der Republik, begann er nach der Schulzeit eine überschaubare Karriere in der Lokalzeitung seiner Heimatstadt. Es folgten Journalistenschule und Studium in München und Washington, ein Ausflug in den Berliner Boulevard sowie etliche Jahre in diversen Funktionen bei „Stern“ und „Spiegel“ in Hamburg. So gingen die Jahre ins Land. Wiedervereinigung. Kanzlerwechsel. Klimawandel. Internet. Tuma heiratete, wurde Vater zweier Kinder und zuletzt Mitglied der Chefredaktion beim Düsseldorfer „Handelsblatt“. Dort sitzt er nun und gießt meist nachts (tagsüber muss er ja arbeiten) all jene Erlebnisse, die er im Bekanntenkreis so aufschnappt aus dem Leben des modernen Mannes, in die gusseisernen Formen charmanter Kolumnen. Wenn Sie noch ein Thema für ihn haben, schreiben Sie ihm: tuma@handelsblatt.com. Er freut sich.