Der moderne Mann in unsicheren Zeiten

Für den modernen Mann ist das 21. Jahrhundert kein einfaches Pflaster. Worauf ist denn schon Verlass in Zeiten von sich wandelnden Geschlechterrollen? Früher hat Mann seinen Wohlstandsbauch gepflegt, heute muss er alles daran setzen, ihn zu verhindern. Wann ist der Mann da noch ein Mann? Finden Sie im Auszug aus Der moderne Mann in unsicheren Zeiten von Thomas Tuma heraus, wie stressig Sport doch sein kann.

VERBLÖDEN, ABER GLÜCKLICH

Halbmarathon? Was Schnabel aus dem Vorstand schafft, kann Herr K. ebenfalls. Und er macht nun jeden Tag Fortschritte, ohne auch nur einen Meter voranzukommen: Das Laufband in seinem Fitnesscenter wird für ihn in kurzer Zeit zu einem Vertrauten … so wie Achmed, der Außendienstler eines Inkasso-Unternehmens, und Ingeborg, die pensionierte Verwaltungsfachangestellte. Beide trifft er immer, wenn er nun dreimal wöchentlich morgens um 5.30 Uhr (!) aufläuft.

Es hatte sich schnell herauskristallisiert, dass dies die beste Zeit für ungestörte Leibesertüchtigung ist. Am Anfang kam Herr K. mal abends nach der Arbeit und fand sich in einer Art Hormon-Wolke sehr geschlechtsreifer Großstädter wieder, die sich um alles kümmerten, nur nicht um die technischen Geräte. Musikalisch untermalt wurde die Balz von etwas, das Deathmetalhardcorepunkrock hätte heißen können. Aus dem Alter ist Herr K. raus.

Gut, es gab im wahrsten Sinne des Wortes Anlaufschwierigkeiten: Bei seinen ersten Gehversuchen (haha, noch so ein Hammer-Sprachwitz, er ist überhaupt viel kreativer geworden, seit er läuft, findet zumindest er selbst) musste Herr K. seine Kräfte schon auf einer 100-Meter-Strecke genau dosieren. Und natürlich erlebte er gewisse Rückschläge. Etwa als er das erste Mal eine halbe Stunde ohne Pause gerannt war und feststellen musste, dass er dabei lediglich den Kalorien-Gegenwert einer Handvoll Erdnüsse verbrannt hatte. Aber das alles kann ihn irgendwann nicht mehr stoppen.

Das Laufen setzt Glücksgefühle frei. Hat Herr K. gelesen. Und er ist bereit, sich das ganz fest einzureden. So läuft er irgendwann eine Stunde. Dann eineinhalb und schließlich zwei. Gut, man verblödet, ist aber glücklich dabei. Als er in jenem Moment schweißnass aufs Display schaut, stellt er ernüchtert fest, dass ihm zum Halbmarathon noch immer fünf Kilometer fehlen. Okay, dann muss er nach der Ausdauer nun eben auch noch an der Kraft arbeiten. Er wird das schaffen, sogar ohne die Anabolika-Cocktails, die ihm Achmed eines Morgens anbietet.

Doch dann kommt ihm das kurzfristig anberaumte Townhall-Meeting in die Quere, bei dem Vorstandschef Reschke mit düsterer Miene das kleine Podium betritt. Das Mikro quietscht kurz, dann beginnt der Alte eine weitschweifige Einleitung, in der von Cicero bis Churchill alles vorkommt, was das Zitate-Wörterbuch seines Assis hergab. Die Rede kulminiert in dem Satz: »Herr Schnabel ist von uns gegangen.« Anscheinend ist er beim Training für seinen Halbmarathon zusammengeklappt. Schlaganfall. »Bis der Rettungswagen kam, war er längst von der großen Bühne des Lebens gerutscht«, wird Koslowski später erstaunlich lyrisch.

Als Reschke vom Podium klettert, hört Herr K. ihn noch zu seiner Sekretärin murren: »Ich hab’s immer gesagt: Sport ist Mord.« In diesem Moment geht allerlei zu Ende … nicht nur Herrn K.s läuferischer Ehrgeiz.

Der Autor

Thomas Tuma ist nicht Herr K., was man schon daran erkennen kann, dass er zwar weniger Haare, aber keinen Büro-Kollegen namens Koslowski hat. Geboren im Südwesten der Republik, begann er nach der Schulzeit eine überschaubare Karriere in der Lokalzeitung seiner Heimatstadt. Es folgten Journalistenschule und Studium in München und Washington, ein Ausflug in den Berliner Boulevard sowie etliche Jahre in diversen Funktionen bei „Stern“ und „Spiegel“ in Hamburg. So gingen die Jahre ins Land. Wiedervereinigung. Kanzlerwechsel. Klimawandel. Internet. Tuma heiratete, wurde Vater zweier Kinder und zuletzt Mitglied der Chefredaktion beim Düsseldorfer „Handelsblatt“. Dort sitzt er nun und gießt meist nachts (tagsüber muss er ja arbeiten) all jene Erlebnisse, die er im Bekanntenkreis so aufschnappt aus dem Leben des modernen Mannes, in die gusseisernen Formen charmanter Kolumnen. Wenn Sie noch ein Thema für ihn haben, schreiben Sie ihm: tuma@handelsblatt.com. Er freut sich.