"Die mentale Revolution" von Steffen Kirchner

Wir brauchen neue, bessere Denk- und Verhaltensmuster – davon ist Autor Steffen Kirchner überzeugt. In seinem Buch Die mentale Revolution zeigt er, wie wir unsere bisherigen Glaubenssätze und Überzeugungen auf den Prüfstand stellen und bei Bedarf durch passendere ersetzen. Auch unser Sicherheitsdenken müssen wir künftig hintanstellen und stattdessen mehr Mut und Offenheit beweisen. Mehr darüber erfahren Sie in der folgenden Leseprobe:

Die Illusion von Sicherheit – Wie wir sie loslassen, um entspannt und flexibel zu handeln

Kennst du diesen Spirit, der oft in großen Firmen vorherrscht? Die trügerische Sicherheit. Ich würde bei vielen sogar von Trägheit, Blindheit oder Unbeweglichkeit sprechen. Denn der Glaube an Tradition und das Festhalten an alten Werten und Vorstellungen prägt noch immer viele Firmenkulturen. Immer wieder hört man Sätze wie: »Wir sind zu groß, um zu scheitern«, »Wir haben schon ganz anderes überstanden, das ist nur eine kleine Krise« oder »Uns gibt es doch gefühlt schon immer«. Ich habe schon so viele Entschuldigungen dafür gehört, warum in Unternehmen nichts verändert werden sollte. Es läuft ja alles – warum etwas ändern, was sich über Jahrzehnte und länger bewährt hat und mit dem man sich sicher fühlt? Deshalb fahren viele in Sachen Weiterentwicklung mit angezogener Handbremse oder eben nur so schnell, dass sie genau wissen, sie haben noch über alles die Kontrolle.

Aber wie in der Formel 1 so ist es eben auch in der Wirtschaft. Wer glaubt, alles unter Kontrolle zu haben, der fährt einfach zu langsam. Zum einen habe ich, glaube ich, inzwischen deutlich genug gezeigt, dass der Wandel in einem unglaublichen Tempo eine Realität ist, an der keiner vorbeikommt. Zum anderen wissen wir, dass nie etwas genau so bleiben kann, wie es ist, weil das eben nicht Sicherheit, sondern Stillstand und damit Tod bedeuten würde. Wir müssen Unbekanntes erobern und deshalb das Risiko der Veränderung eingehen. Ich gehe sogar so weit und sage:

Wer nicht bereit ist, mit Unbekanntem zu leben und sich mit gewissen Risiken nach vorne zu wagen, wird endgültig scheitern.

Trotzdem sind viele Unternehmer selbst etwas träge. Die meisten wissen ziemlich genau, dass sie, solange sie unbeweglich sind, der Zeit hinterherhinken. Aber sie schaffen es einfach nicht, ihre Mitarbeiter auf eine Reise in die Zukunftsfähigkeit mitzunehmen. Da ist sie wieder, die Vollkaskomentalität, über die ich bereits gesprochen habe und auf der sich so viele Mitarbeiter ausruhen, wenn die Führung nicht stimmt.

Der Blick zurück

Ich erzähle dir dazu eine wahre Geschichte, die ich vor einigen Jahren erlebt habe. Ich wurde damals von einem großen deutschen Bankenverbund für eine Rede gebucht. Das Leitmotiv des Events: Zukunftskongress. Über ganz Deutschland hinweg gab es drei jeweils eintägige Veranstaltungen für Führungskräfte und Entscheidungsträger wie Vorstände, Abteilungsleiter, Großkundenberater etc. Pro Event waren circa 1.500 bis 2.000 Personen anwesend.

Das Ablauf war standardisiert: Vor mir war immer der Regionalleiter dran, und ich ging als zweiter Redner auf die Bühne. Mir fiel schon am ersten Tag auf, dass der Regionalleiter in 60 Minuten Vortrag 50 Minuten lang über die Bilanzzahlen des Vorjahres, also über die Vergangenheit referierte. Das fand ich bei einem Zukunftskongress schon etwas seltsam. Die restlichen zehn Minuten sprach er über die Gegenwart und darüber, dass sie eigentlich sowieso die Größten seien und die Zukunft toll werden würde.

Dann kam ich auf die Bühne und hielt meinen Vortrag »Veränderungslust«. Ich sollte die Leute mental auf die großen Veränderungen einstimmen, die in der Branche anstanden. Irgendwann während des Vortrags kam ich zu einer Folie, mit der ich zeigte, wie dramatisch sich die Geschäftsmodelle in der Welt verändert haben. Ich gab den Zuhörern ein paar interessante Beispiele: Netflix ist der weltweit größte Kinofilmanbieter, der (damals) kein eigenes Kino besaß. Airbnb gehört zu den größten Übernachtungsanbietern, hat aber kein eigenes Hotel. Facebook als eines der größten Medienunternehmen produziert so gut wie keine eigenen Inhalte, und WhatsApp, das zu den größten Telefondienstleistern gehört, besitzt keine eigene Infrastruktur.

Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Leute bei allen drei Vorträgen gut mit und die Stimmung im Saal war prima. Bis dahin hatte ich aber auch noch nicht über das gesprochen, was die Finanzbranche revolutionierte. Denn all die vorab genannten Firmen sind für das Bankenwesen nicht wirklich von Bedeutung. Also habe ich an dieser Stelle gefragt: »Wer von Ihnen kennt SocietyOne?« In drei Vorträgen bei knapp 5.000 Entscheidern einer systemrelevanten Bankgruppierung hob kein Einziger die Hand. Mach dir keine Gedanken, wenn du diese australische Peer-to-Peer- Kreditplattform ebenfalls nicht kennst. Vielleicht hast du ja schon von auxmoney gehört? Die haben ein ähnliches System. Für all die Entscheidungsträger der Finanzbranche, die mit fragenden Gesichtern vor mir saßen, war es aber ein Problem, einen der am stärksten wachsenden Finanzdienstleister, der bisherige Systeme revolutioniert, nicht zu kennen – einen echten Konkurrenten am Markt. Denn einen Gegner, den du nicht kennst, kannst du nicht besiegen.

Du kannst dir sicher vorstellen, dass diese Erkenntnis der Stimmung der Leute nicht gerade zuträglich war. Und erstbeim dritten Vortrag kam der örtliche Regionalleiter hinterher zu mir und sagte: »Sie haben den Finger gut in die Wunde gelegt. Es gibt viel zu tun. Wir müssen weiterarbeiten.«

Rückwärtsgewandtes Bubble-Denken

Warum habe ich dir diese Geschichte erzählt? Weil sie ein deutliches Beispiel dafür ist, dass wir uns viel zu viel mit der Vergangenheit beschäftigen und nur mit uns selbst und unserer Blase. Dabei vergessen wir aber unsere eigene Entwicklung und als Unternehmen die Marktentwicklung. Wir befinden uns auf der Bewahrungsebene. Es geht um Machterhalt und Ähnliches. Aber genau von diesem Denken müssen wir uns lösen. Das gehört in die Kategorie »Erfolgsfaktoren der Vergangenheit«. Ich sag nur: Vollkaskomentalität. Die habe ich ja inzwischen schon ein paarmal erwähnt.

Für den Erfolg in der Zukunft müssen wir aber weg von dem, was gestern gut war, und aufhören, diese Werte und Tugenden zu verteidigen, um stattdessen auf das Morgen zu schauen. Um es sinngemäß mit den Worten von Götz Werner zu sagen: Wenn ich heute oder gestern Erfolg hatte, heißt das nur, dass ich die Fragen von gestern richtig beantwortet habe. Wenn ich morgen Erfolg haben möchte, muss ich erkennen, dass ich mir heute und auch morgen andere Fragen stellen muss, um den bisherigen Erfolg weiterzuführen.

Übrigens: Auch die Reaktionen auf eine Pandemie sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich unsere Denkmuster ändern müssen. Wir dürfen, um in Krisensituationen Maßnahmen zu ergreifen, nicht auf die Erkenntnisse warten, die wir in einem Jahr haben werden. Denn dann werden wir nur sehen, was wir alles hätten tun müssen, aber nie getan haben. Wenn man immer nur das entscheidet, was man sicher weiß, entscheidet man irgendwann fast gar nichts mehr. Diese Politik der Vorsicht wirft uns aus meiner Sicht immer mehr zurück, statt uns in die Zukunft zu bringen.