Irrationale Kaninchen

Stellen Sie sich vor, jede Ihrer (irrationalen) Ängste würde Sie in ein Kaninchen verwandeln, das erstarrt vor Schreck im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Autos sitzt. Dass Sie einfach zur Seite hoppeln und die Gefahr vorüber rauschen lassen könnten, kommt Ihnen in dem Moment meist gar nicht in den Sinn. Während der Recherche zu Kill dein Kaninchen! sind Ralf Schmitt und Mona Schnell auf einige Nager getroffen, die besonders weit verbreitet oder besonders hartnäckig sind. Eins davon ist das Kein-Kontakt-Kaninchen, das sie hier genauer beschreiben – und erklären, wie Sie es loswerden.

Angst vor Einsamkeit – Das Kein-Kontakt-Kaninchen

"Um die Einsamkeit ist’s eine schöne Sache, wenn man mit sich selbst in Frieden lebt und was Bestimmtes zu tun hat."

Johann Wolfgang von Goethe

Kennen Sie das Kein-Kontakt-Kaninchen? Das ist das kleine, miese Biest, das besonders gerne dann an unsere Tür klopft, wenn wir bereits im Weltschmerz versinken. Es ist hartnäckig und kann äußerst launisch sein, den Schlaf rauben und uns zur Verzweiflung bringen. Gerne schaut es vorbei, wenn wir zum Beispiel auf Geschäftsreise oder auch im Urlaub alleine im Hotelzimmer liegen und uns fragen: Was habe ich nur falsch gemacht im Leben? Kein Schwein ruft mich an. Keiner interessiert sich dafür, wie es mir geht.

Aber auch Zuhause sind Sie nicht vor ihm sicher. Besonders blöd ist, dass es egal ist, ob Sie arm oder reich sind, strahlend schön oder weniger glamourös und es schaut auch ganz unabhängig vom Alter vorbei. Wie aber kommt es, dass dieses Karnickel sich so weit verbreiten konnte und sich in unserer Gesellschaft so überaus wohlfühlt?

Weniger Gemeinschaft mehr Individualismus

Manchmal vermissen wir dieses Gemeinschaftsgefühl, das wir beide noch aus unserer ländlichen Heimat kennen. Eine mehr oder weniger große Gruppe, oftmals in Vereinen organisiert oder manchmal auch nur aus der Nachbarschaft, trifft sich regelmäßig, lebt zusammen, feiert zusammen, diskutiert und streitet miteinander und, ganz wichtig, packt überall da an, wo es nötig ist. Sie unterstützen einander dann, wenn Hilfe gebraucht wird. Zugegeben, das ist eine Idealvorstellung, die in der Realität auch nicht immer so harmonisch läuft. Sie ist aber schön und beruhigend.

Wir hören solche Erzählungen auch heute noch ab und an, übrigens auch aus der Großstadt. Das ist also kein rein ländliches Phänomen. Was bei jeder Geschichte jedoch durchscheint ist: Wir haben so wenig Zeit. Mona hat zum Beispiel einen großen Teil ihres Freundeskreises von Zuhause einfach mitgebracht. Einige waren vorher bereits in Hamburg, andere kamen nach und nach dazu. Auch die Studentenjobs im Service und am Tresen einer Bar haben enorm dazu beigetragen, viele tolle Menschen zu treffen. Ralf hat sich Schritt für Schritt durch seine offene, gewinnende Art, seine Liebe zum Improvisationstheater und durch den Aufbau eines Straßenfestes in Reinbek ein stabiles Netzwerk aus Freunden und Kollegen aufgebaut. Als er 2008 in die Vorstadt gezogen war, wollte er seine Nachbarn besser kennenlernen und hat es dann einfach gemacht. Inzwischen nimmt die ganze Straße daran teil. Vom drei Monate alten Baby bis zur 90-jährigen Oma wird generationsübergreifend gefeiert.

Was wir beide erleben, ist, dass so oft die Zeit und manchmal auch einfach die Lust oder die Energie fehlt, um unser Netzwerk wirklich zu würdigen und zu pflegen. Hinzu kommt, wir arbeiten beide in Branchen, bei denen die Außenwirkung und der Individualismus bedeutsam sind und in denen man viel unterwegs sein muss, um erfolgreich zu sein. Das kostet Kraft und manchmal auch viel Überwindung.

Was ist real an der Angst vor Einsamkeit

Wir arbeiten viel und überall: Es gibt sehr viel Einsamkeit unter den Menschen. Das liegt zum einen daran, dass viele von uns einen großen Fokus auf die Arbeit legen. Unsere berufliche Erfüllung nimmt einen hohen Stellenwert ein. Die klassische Work-Life-Balance wird, zumindest in unserer Generation, lange nicht mehr so stark propagiert wie früher. Das Umfeld vieler setzt sich wegen langer Arbeitszeiten und der Angewohnheit, dass wir unsere Arbeit überall hin mitnehmen, hauptsächlich aus Kollegen zusammen. So eine berufliche Gemeinschaft kann zwar sehr nett sein, es können sich sogar Freundschaften daraus entwickeln. Das möchten wir auf keinen Fall bestreiten. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich mit einem Jobwechsel die meisten dieser Bindungen wieder lösen, weil ohne die gleiche Firma oder dasselbe Team die Gemeinsamkeiten oder einfach nur zusammen Erlebtes fehlen. Kollegen können also den Kontakt zu Menschen, die Ihnen wirklich wichtig sind und denen Sie etwas bedeuten, auf die Dauer nur selten oder gar nicht ersetzen.

Wir gönnen uns keinen Raum für Ruhe und leben zu viel virtuell: Wir verlieren immer mehr die Trennung zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Das ist grundsätzlich erst einmal nichts Schlimmes. Die Grenzen werden oft fließend und wenn wir nicht darauf achten, haben wir keinen „Ruheraum“ mehr. Wir sitzen teils bis spät noch am Laptop, um auch wirklich alle E-Mails abgearbeitet zu haben und nehmen Tablets und unser Smartphone sogar mit ins Bett. Das erleichtert den Kontakt zu Menschen außerhalb unseres beruflichen Umfelds. Über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. sind wir scheinbar permanent verbunden. Kein Posting kann jedoch den gemeinsamen Drink in einer Bar und Gespräche über alles, was so schief läuft in der Welt, ersetzen. Wir glauben, dass die sozialen Netzwerke sogar dazu führen, dass wir immer weiter vereinsamen und uns eine parallele virtuelle Welt aufbauen, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Wir bekommen zu wenig Kinder: Es ist eine Tatsache, dass unsere Gesellschaft immer älter wird und die Deutschen immer weniger Kinder bekommen. Wir liegen sogar unter dem EU Schnitt. Besonders Frauen tun sich damit schwer, Karriere und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Viele beklagen mangelnde Förderung durch den Arbeitgeber oder den Staat, andere sehen auch die hohe Scheidungsrate und die Angst davor, alleinerziehend zu enden, als echten Kinderwunsch-Blocker. Wer keine Kinder hat, fragt sich aber oft, wer denn im Alter für sie da sein wird und fürchtet sich davor, später zu vereinsamen. Echten Horror löst der Gedanke aus, dass wir sogar noch als Single alt werden müssen oder der Partner früher stirbt. Das kann kein virtuelles Netzwerk auffangen.

Tod dem Kein-Kontakt-Kaninchen!

Wer nicht gerne alleine ist, kann die Zeit mit sich selbst nicht wirklich genießen. Und genau hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer. Wer sein Kein-Kontakt-Kaninchen killen möchte, muss lernen, die Zeit mit sich selbst zu genießen.

Das heißt nicht, dass Sie nicht auch einmal im Selbstmitleid und im Weltschmerz baden dürfen. Manchmal ist das nötig und sogar wichtig, um wieder klarzukommen. Das sind dann die Momente, in denen wir uns im übertragenen Sinn einfach mal selbst in den Arm nehmen müssen, um uns zu sagen: Ich bin für dich da! Wenn Sie für eine Weile niemanden haben, der mit Ihnen Freude und Leid teilen kann, lassen Sie sich davon nicht lähmen und halten sie es wie Hermann Hesse im Steppenwolf und sagen sich:

                                                  „Einsamkeit ist Unabhängigkeit."

Die Autoren

Ralf Schmitt arbeitet seit mehr als 15 Jahren erfolgreich als Speaker, Trainer, Impro-Comedian und Moderator. Er gilt als Experte für Spontaneität und Interaktivität, hat zusammen mit Torsten Voller die Methode der Navituition® entwickelt und ist Vorstandsmitglied der German Speakers Association sowie Geschäftsführer der Impulspiloten GmbH.

Mona Schnell studierte in Hamburg Mode, Journalismus und Medienkommunikation. Nach ihrem Abschluss führte sie eine Kneipe in Winterhude. Inzwischen arbeitet sie als freie Journalistin, Autorin und leitet seit neun Jahren eine Agentur für PR, Management und Booking mit dem Fokus darauf, Musiker, Comedians und Experten stimmig in den Medien zu platzieren. Sie liebt Abenteuer, Veränderungen und neue Umgebungen.