Die Idee zum Buch

Wie kommt man dazu, ein Gelassenheitsprojekt zu starten? Bei Martin-Niels Däfler war der Auslöser eine Situation, in der sich wohl jeder schon einmal befunden hat. Welche genau, das erzählt er hier:

Wie mein Projekt entstand

»Oh, lieber Gott, allmächtiges Universum, heiliger Klappstuhl: Gib mir Geduld! Nicht schon wieder so ein beknackter Wurstthekenrentner! Ich könnte ausflippen!«, zische ich. Meine Frau knufft mich in die Seite: »Pst, nicht so laut.« »Ist doch mir egal. Der kann das ruhig hören. Lässt sich hier in aller Seelenruhe die Zusammensetzung von 14 Aufschnittsorten erklären, während wir es eilig haben. Kotzen könnt’ ich.«

Es ist 17:20 Uhr an einem Freitag im Oktober und wir sind mit dem Wochenendeinkauf im örtlichen Supermarkt beschäftigt. Warum müssen Leute, die nicht berufstätig sind, immer dann ihre Besorgungen machen, wenn gestresste Arbeitnehmer ihre Erledigungen hinter sich bringen wollen? Es gibt Dinge im Leben, die ich einfach nicht verstehe.

»Jetzt reg dich doch nicht so auf, wir sind doch als Nächstes dran«, versucht meine Frau mich zu beruhigen. »Und dann nimmt er bestimmt nur vier Scheiben Gelbwurst mit Petersilie. Nach 17 Uhr gehört Rentnern der Zutritt zu jeglichen Einkaufsstätten verboten.«

»Jetzt sei nicht so fies, ist doch nicht schlimm, wenn wir hier ein paar Minuten warten müssen.« »Doch, ist es«, entgegne ich knapp und beginne, demonstrativ mit meinem Fuß auf den Boden zu tippen. Endlich! 50 Gramm Zungenwurst – und dafür hat der sich zehn Minuten beraten lassen!

Schließlich haben wir es geschafft und kommen zur Kasse. »Sie haben vergessen, Ihre Bananen zu wiegen. Warten Sie, ich spring gerade mal rüber in die Obstabteilung und mach das für Sie«, säuselt die Kassiererin und entschwindet. Vor uns: eine etwa 40-jährige Frau mit ihren beiden verzogenen Gören. Am liebsten würde ich alle drei auf der Stelle erwürgen. Wieder gehen uns kostbare Minuten verloren, wo doch heute Abend Freunde zu Besuch kommen und wir noch eine Menge in der Küche zu tun haben. Auf der Heimfahrt stehen wir zu allem Überfluss auch noch im Stau. Ein Auffahrunfall führt zu massiven Behinderungen im Feierabendverkehr und treibt meinen Blutdruck in den vierstelligen Bereich.

»Ich wette, dass das ’ne Frau war!« »Was ist denn heute los mit dir? Du bist ja dermaßen gereizt. Du brauchst mal eine XL-Portion Gelassenheit.« Meine Frau hat ja recht. Der Tag war megastressig, ein Termin jagte den anderen, ständig klingelte das Handy und ich bin zu nichts gekommen. Wenn um 19 Uhr unsere Freunde vor der Tür stehen, würde ich gern mit den Vorbereitungen fertig sein. Kein Wunder, dass ich alles andere als entspannt bin. Und das, obwohl ich theoretisch so ziemlich alle Rezepte gegen Stress und Angespanntsein kenne. Schließlich habe ich eine Professur und lehre in diesem Bereich. Zudem habe ich mehrere Bücher dazu geschrieben. Dennoch gibt es immer mal wieder Situationen im Alltag, in denen ich genauso genervt und wenig gelassen bin wie die meisten anderen auch.

Ein paar Stunden später, als wir mit unseren Freunden zusammensitzen, schildert meine Frau die Erlebnisse beim Wochenendeinkauf. Mein Ärger ist inzwischen längst verraucht und ich kann ebenso wie unsere Gäste über meine Ungeduld grinsen. Unseren Freunden ist solches Verhalten auch nicht fremd. Pia berichtet vom vergangenen Montagmorgen: »Ich hatte verschlafen und dann musste alles mal wieder ganz schnell gehen. In der Eile ist mir Himbeermarmelade vom Toast auf meine Bluse getropft. Sebastian suchte schon eine Viertelstunde nach seiner Monatskarte für den Bus und Ann-Cathrine wollte die zurechtgelegten Klamotten partout nicht anziehen. Kurz bevor wir dann endlich das Haus verlassen wollten, fiel Sebastian ein, dass er ja noch Mathe-Hausaufgaben zu erledigen hatte. Und ich sollte in 20 Minuten beim Kunden sein. Ich sag euch: Das ist die Vorhölle! Da braucht man Gelassenheit.«

Schnell sind wir uns in der Runde einig, dass jeder von uns Gelassenheit benötigt. Keine Frage: Insgesamt ist das Bedürfnis nach Entspannung und (innerer) Ruhe in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Je schneller sich unsere Umwelt verändert, desto größer wird der Wunsch nach Stabilität. Je mehr Bälle der moderne Mensch gleichzeitig in der Luft halten muss, je umfangreicher das Angebot an Jauch-Plasberg-Will-Talkshows wird, desto dringlicher ist das Bedürfnis nach Stille und Rückzug. Deshalb kann es nicht überraschen, wenn der »Markt« für Gelassenheit beständig wächst. Mein bester Freund Marcus lenkt das Thema in eine positive Richtung: »Wisst ihr, wobei ich mich am besten entspannen kann, wobei ich komplett das Büro und alles, was mich nervt, vergesse? Beim Fliegenfischen! Wenn ich sonntagmorgens im Main stehe und meine Schnur auswerfe, dann bin ich so was von gechillt.« »Um Gottes willen! Das käme mir nie in den Sinn – gerade wenn man ausschlafen kann, früh aufstehen und sich in die Kälte stellen, nein, echt nicht. Wenn ich was für mich tun will, dann gehe ich zur Thaimassage, da bin ich völlig bei mir«, erläutert Diana ihr Geheimrezept.

Andreas zieht die Augenbrauen fast bis zum Haaransatz und gibt so sehr deutlich zu verstehen, was er davon hält. Er offenbart sein Mittel gegen Stress: Sport im Fitnessstudio, und zwar zwei- bis dreimal die Woche. Caroline, meine Frau, schwört hingegen auf Yoga, und Pia zieht sich einmal im Jahr für ein paar Tage zum meditativen Bogenschießen zurück, was Marcus dazu veranlasst, sich in den Schneidersitz zu begeben und die Hände zu falten.

»Ja, ja, ich weiß schon, dass du da nix von hältst«, kommentiert Pia angesäuert. Caroline will die Spannung rausnehmen und versucht zu beschwichtigen:

»Na ja, jeder hat halt so seine Methode, um runterzukommen. Ich glaub, man kann gar nicht sagen, dass die eine Entspannungstechnik besser als die andere ist.«

»Oh doch, das kann man schon«, behaupte ich.

»So, inwiefern denn, Herr Schlaubischlumpf?«, fragt Caroline leicht schnippisch zurück. »Nuuuuun«, setze ich an, »man müsste sich halt ein paar Kriterien überlegen, dann müsste man einfach die verschiedenen Sachen nur mal ausprobieren und anschließend bewerten. Dann hätte man ein ziemlich faires Ergebnis.«

»Wenn’s so einfach geht«, meint Andreas, »dann mach das doch.«

»Da hat Andreas recht: Teste doch mal am eigenen Leib, wie es ist, eine Klangschalenreise zu machen oder Fliegenfischen zu gehen«, bekräftigt meine Frau.

Ehe ich mich versehe, sind sich alle einig und überbieten sich mit Vorschlägen, was ich alles unternehmen könnte: Qigong, eine Pediküre mit Fischen oder stricken lernen. Mit jeder weiteren Flasche Rotwein wächst die Liste der Entspannungstechniken, die zu untersuchen interessant wäre. Irgendwann sind alle dann doch müde und der Ideenstrom ebbt ab. Bei der Verabschiedung meint Marcus: »Da bin ich mal gespannt, ob du wirklich den Gelassenheitstest machst. Wenn du es tust, dann nehm ich dich gern mit zum Fliegenfischen.«

Am nächsten Morgen – ich bin gerade dabei, das Geschirr und die Gläser des Vorabends zu spülen – lasse ich mir die Idee gründlich durch den Kopf gehen: Vielleicht wäre es tatsächlich ein lohnendes Unterfangen, mal all diese Methoden auszuprobieren? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr begeistere ich mich für diese Idee.

Am Nachmittag fasse ich schließlich den Entschluss: Ich werde das Gelassenheitsprojekt wirklich angehen. Zusammen mit meiner Frau rekonstruiere ich die Vorschläge des vorherigen Abends und erstelle eine Liste, was ich alles unternehmen könnte. Das ist sicherlich keine objektive Zusammenstellung und widerspricht dem Vorgehen, das ich als Wissenschaftler gewohnt bin. Aber darauf kommt’s hier schließlich nicht so an. Entscheidend ist ja, dass ich am eigenen Leib ganz konkrete Praktiken überprüfe, die andere Menschen anwenden, um sich zu entspannen.

Aus dem Plan ist inzwischen Realität geworden. Davon handelt dieses Buch: Ich werde von meinem ultimativen Selbsttest berichten.

Der Autor

Prof. Dr. Martin-Niels Däfler wurde 1969 in Mainz geboren und hat in Würzburg sowie Adelaide (Australien) BWL studiert. Danach war er für die Boston Consulting Group sowie den Deutschen Sparkassen- und Giroverband tätig. Seit dem Jahr 2010 lehrt Däfler als hauptamtlicher Professor an der FOM Hochschule in Frankfurt/Main. Als Redner, Trainer und Coach ist Däfler deutschlandweit gefragter Experte bei den Themen Stressabbau, Resilienz und Burn-out-Prophylaxe. Zahlreiche Bücher, Vorträge und Interviews haben ihn zu einem der bekanntesten Fachleute in diesem Genre gemacht. Däfler hat zwei Kinder. Mit seiner Frau lebt er in Aschaffenburg.