"30 Minuten Gendergerechte Sprache" von Tinka Beller

"Da hinten kommt meine Kollegin!" – "Die Brünette?" – "Nein, die mit den blonden Haaren!" Während in diesem Beispiel die Haarfarbe zur neutralen Verständigung genutzt wird, sieht es hier anders aus: "Alle Blondinen sind doof!" Im Gegensatz zum zweiten Bespiel ist im Alltag nicht immer gleich klar, wo sprachliche Diskriminierung anfängt. Deshalb schlägt Tinka Beller in 30 Minuten Gendergerechte Sprache einen sprachlichen Rahmen vor – wie im folgenden Buchauszug zu lesen.

Ist das wirklich diskriminierend?

Betrachtet man das Beispiel „Eskimo“ etwas genauer, kommt es aber zu einer gewissen Verwirrung. Das früher gebräuchliche Wort „Eskimo“ stand vor einigen Jahren auf der schwarzen Liste, weil es angeblich so etwas wie „Rohfleischesser“ bedeutet und als diskriminierend eingestuft wurde. Aus diesem Grund wurde der Begriff „Eskimo“ nahezu umgehend und zeitnah aus Schul- und Kinderbüchern entfernt. Wenn die indigenen Volksgruppen, die hauptsächlich in Grönland leben, benannt werden sollen, wird jetzt von „Inuit“ gesprochen.

Interessant wird es, wenn man im aktuellen Duden nachliest: „Die Bezeichnung Eskimo wird gelegentlich als diskriminierend empfunden, obwohl die Wortbedeutung ‚Rohfleischesser‘ inzwischen als sprachwissenschaftlich widerlegt gilt.“ Das bedeutet, dass ein Begriff möglicherweise voreilig durch einen anderen ersetzt wurde, wobei der neue Begriffe in diesem Fall tatsächlich diskriminierend ist: Denn „Inuit“ bezieht sich nur auf einen Teil dieser Völkergruppe, schließt also viele Personen aus, die „mitgemeint“ sind.

Nebenbei bemerkt: 2016 lebten in Deutschland ca. 41,83 Millionen Frauen. Es ist erstaunlich, dass diese Personengruppe im Gegensatz zu der vermutlich deutlich weniger repräsentierten Gruppe von Menschen aus Grönland oder der Arktis so viel weniger Aufmerksamkeit in der Sprache erlebt.

Die Euphemismus-Tretmühle

Dem Wunsch entsprechend, so wenig wie möglich zu diskriminieren , werden Bezeichnungen häufig geradezu inflationär verändert, da man befürchtet, dass Wörter negativ konnotiert oder politisch inkorrekt sein könnten. Das führt mitunter zu einem geradezu skurrilen Phänomen, das als „Euphemismus-Tretmühle“ bezeichnet wird. Dieser Ausdruck wurde von Steven Pinker eingeführt und bezieht sich darauf, dass beschönigende Begriffe, sogenannte Euphemismen, im Laufe der Zeit die negative Konnotation des Vorgängerbegriffs annehmen. (de.wikipedia.org/w/index.php?title= Euphemismus-Tretm%C3%BChle&oldid=179980779)

Ein Euphemismus per se ist eine Beschönigung oder Verharmlosung. „Hohe Luftfeuchtigkeit“ klingt deutlich besser als „Starkregen“, „beratungsresistent“ noch immer freundlicher als „stur“, und eine Klausur mit einem „suboptimalen“ Ergebnis wirkt besser als eine nicht bestandene Arbeit. Generell werden dadurch jedoch die eigentlichen Bedeutungen verfälscht.

Euphemismen sind im täglichen Umgang mit Menschen ein Instrument, um die Realität freundlicher darzustellen. Dies funktioniert jedoch nur, wenn sich auch die Realität verändert und nicht nur die Begriffe. Sonst kommt es zur eben beschriebenen Euphemismus-Tretmühle: Am laufenden Band werden Begriffe umformuliert, um eine negative Konnotation zu vermeiden. In Bezug auf gendergerechte Sprache bedeutet das, dass neue Formulierungen allein vermutlich nicht zu einem tatsächlichen Umdenken bzw. einer anderen Wahrnehmung führen werden. Dazu ein Beispiel, bei dem es um eine andere Personengruppe geht, die ebenfalls von Diskriminierung betroffen ist:

Vor dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) wurden Menschen mit Behinderungen mit dem aus heutiger Sicht diskriminierenden und diffamierenden Begriff „Krüppel“ bezeichnet. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich zunächst die Formulierungen „Invalide“, „behindert“ bzw. „körperbehindert“ durch, die von „Menschen mit Behinderungen“ oder „Menschen mit Handicap“ quasi abgelöst wurden. Aktuell werden die Bezeichnungen „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ oder „Menschen mit Beeinträchtigungen“ als politisch korrekt angesehen und verwendet.

Sicher ist für jeden klar nachvollziehbar, dass die Ursprungsbegriffe in diesem Beispiel heute absolut indiskutabel sind. Viel wichtiger als die Einführung neuer Begrifflichkeiten wäre jedoch eine Veränderung in der Wahrnehmung. Ein neues Etikett wie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ hilft Personen, die diese besonderen Bedürfnisse haben, wenig, wenn nicht gleichzeitig ein Umdenken stattfindet.

Dies gilt selbstverständlich gleichermaßen für andere Personengruppen. Die aktuelle politisch korrekte Bezeichnung für Menschen, die im tatsächlichen und übertragenen Sinne kein Dach über dem Kopf haben, ist beispielsweise nicht mehr „Obdachlose“, sondern „Wohnungssuchende“. Das klingt besser, ändert aber rein gar nichts an der Tatsache, dass sich eine solche Person in einer prekären Lage befindet.

Das Ziel ist eine echte Veränderung

Mit diesen Überlegungen möchte ich keineswegs zu einer Rückkehr zu alten, diskriminierenden Begriffen aufrufen. Gendergerechte Sprache ist ein (guter) Anfang – aber der Weg bis zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung ist weit. Hier spielen Themen wie Zeitgeist, Wertewandel, Generationen und Traditionen ebenfalls eine große Rolle. Einer „Familienmanagerin“ (früher bekannt als „Hausfrau“) wird es vermutlich ähnlich gehen wie einer Person, der aus Alters- oder Krankheitsgründen „das Essen angereicht wird“ (was früher als „füttern“ bezeichnet wurde) – Anerkennung, Respekt und Freundlichkeit sind mindestens ebenso wichtig wie eine adäquate Formulierung. Das heißt, auch wenn Frauen in der Sprache sichtbar sind, werden sie nicht automatisch „gleich“ bzw. „gerecht“ behandelt und wahrgenommen.

Die Autorin

Tinka Beller ist seit 2010 als Projektleiterin bei kontor5 tätig und Gründungs-Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Mentoring (DGM). Neben der Konzeption neuer Projekte und der Implementierung der Programme im Unternehmen ist sie u. a. für das Matching und die Begleitung der TeilnehmerInnen während des Prozesses verantwortlich.