Das Gelassenheitsprojekt

Martin-Niels Däfler war bereits beim Tätowierer, entrümpelte seine Wohnung und schwitzte sich im Fitnessstudio in Form. Nun steht der nächste Test an: Reiten. Dabei kann man im Sommer nicht nur die Natur bei einem ausgiebigen Ausritt genießen, sondern laut Internet Burn-out und Stress bekämpfen. Lesen Sie im Auszug aus Das Gelassenheitsprojekt, wie gut das geklappt hat.

Reiterhof – sattelfest durchs Leben

Ausgerüstet mit Fahrradhelm und -handschuhen sowie bekleidet mit einer alten Jeans bin ich zur verabredeten Zeit auf dem Lindenhof. Knapp 1,2 Millionen Deutsche reiten häufig und weitere 2,5 Millionen gelegentlich. Das sind zusammen 3,7 Millionen Menschen. Die Hälfte davon scheint heute hier zu sein, so voll ist es. Der Frankfurter Hauptbahnhof ist dagegen ein Ort der Ruhe und Kontemplation. Kinder jedweder Größe und ihre Mütter, mehrere John Waynes, einige aufgebrezelte Frauen mittleren Alters, eine Gruppe gackernder weiblicher Pubertiere und zahlreiche weitere Reiter bevölkern die Anlage. Im Gewusel entdecke ich Alex, die gerade dabei ist, ein stattliches Exemplar von Pferd zu putzen.

»Das ist Rolex. Auf ihm wirst du reiten.«
»Rolex? Wie die Uhrenmarke?«
»Ja, genau.«
Komisch, welche Namen sich Pferdebesitzer für ihre Lieblinge überlegen. Vielleicht hätte ich meine Kinder nicht Klara und Niklas, sondern Cartier und Swatch nennen sollen?
»Rolex ist ein ganz Braver. Ich hab ihn schon mal von der Koppel geholt und angefangen, ihn zu putzen. Jetzt musst du aber weitermachen, damit du eine Verbindung zu ihm aufbauen kannst.«

Eine Verbindung zum Pferd aufbauen, bevor ich reiten kann? Soll ich demnächst die Felgen meines Audis polieren, wenn ich vorhabe, ihn zu fahren? Nun, ich greife nach der Bürste und mache, was mir gesagt wird. Dann bekomme ich erklärt, dass ich nicht gegen den Strich bürsten soll und dass ich durchaus etwas Kraft aufwenden darf. Pferde seien zwar äußerst sensibel, würden aber eine solche Bürstenmassage lieben.

Von Entspannung ist bei mir noch gar nichts zu spüren. Eher ist es andersherum. Denn so dicht an dicht mit einem 600 Kilogramm schweren Vertreter der Gattung Equus zu stehen, beunruhigt mich zugegebenermaßen schon ein wenig. Was ist, wenn Rolex meine Bürstentechnik nicht als wohltuende Streicheleinheit, sondern als nerviges Rumgeschrubbe auffasst? Aber der Junge scheint es doch zu genießen, denn weder beißt er mich noch haut er mir einen seiner Hufe gegen meine Knöchel.

Nachdem Alex mein Ross gesattelt und die Trense (sozusagen das »Lenkrad«) übergezogen hat, gehen wir zusammen zu einem Wellblech-Rundbau, der in der Fachsprache »Longierhalle« heißt. Dort erwartet uns bereits Lara, die etwa 25 Jahre alte Tochter der Stallbesitzer.

»Hallo, Martin, Alex hat mir gesagt, dass du so ein Projekt machst und gern mal reiten möchtest.«
»Exakt. Weißt du, ich will testen, mit welcher Methode man am besten entspannen kann, und da ist Reiten sicherlich ein guter Ansatz.«

Laras Gesichtsausdruck nach zu urteilen hält sie mich für mittelmäßig verwirrt. Als ein Mensch, der vom Augenblick seiner Geburt an von Pferden umgeben war und täglich reitet, mag für sie die Vorstellung, dass man zur Entspannung reitet, ziemlich abstrus klingen. Jedenfalls fragt sie nicht weiter nach und führt mich zur Aufstiegshilfe, von dort aus wuchte ich mich in den Sattel. Lara hilft mir, die Füße in die Steigbügel zu stellen, und erklärt, wie ich die Zügel zu halten habe. Rolex bekommt eine Leine verpasst – die man »Longe« nennt, wie Alex von der Seite hineinruft – und dann kann’s auch schon losgehen.

Während ich bemüht bin, die Balance zu halten und nicht allzu dämlich auszusehen, beginnt Lara damit, mich in die Welt des Reitens einzuführen. Sie spricht von Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen. Sie geht auf das Wesen der Pferde ein und macht deutlich: »Das Pferd ist dein Spiegel. Wenn du zum Beispiel schlecht drauf bist, dann solltest du besser nicht reiten, weil das Pferd dann deine Stimmung spürt und es deine Verkrampfung annimmt.«

Der Autor

Prof. Dr. Martin-Niels Däfler wurde 1969 in Mainz geboren und hat in Würzburg sowie Adelaide (Australien) BWL studiert. Danach war er für die Boston Consulting Group sowie den Deutschen Sparkassen- und Giroverband tätig. Seit dem Jahr 2010 lehrt Däfler als hauptamtlicher Professor an der FOM Hochschule in Frankfurt/Main. Als Redner, Trainer und Coach ist Däfler deutschlandweit gefragter Experte bei den Themen Stressabbau, Resilienz und Burn-out-Prophylaxe. Zahlreiche Bücher, Vorträge und Interviews haben ihn zu einem der bekanntesten Fachleute in diesem Genre gemacht. Däfler hat zwei Kinder. Mit seiner Frau lebt er in Aschaffenburg.