"Führungsinstinkt" von Anke van Beekhuis und Marco Seltenreich

Führungserfolg ist auch Bauchsache! Neben Fachkompetenz benötigt eine glaubwürdige Führungskraft in unserer komplexen Arbeitswelt zwei Dinge: das Gespür, in jeder Situation das Richtige zu tun. Und den Mut, auf dieses Bauchgefühl zu hören. Anke van Beekhuis und Marco Seltenreich nennen es „Führungsinstinkt“. Für sie verbirgt sich hinter dem Begriff eine Vielzahl von Talenten: unterer anderem Authentizität, Konsequenz, Flexibilität, Authentizität und Empathie. Worauf es bei Letzterer genau ankommt, lesen Sie in der folgenden Leseprobe.

Empathie öffnet Türen – was Einzelne bewegt, bringt alle weiter

Das Wort »Empathie« ist zumindest im öffentlichen Sprachgebrauch ein Kind des 21. Jahrhunderts. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinfühlen zu können, wurde früher ganz anders bezeichnet. In Bezug auf Führungskräfte hätte man vor 30 Jahren vielleicht gesagt, dass jemand »ein gutes Händchen für Menschen« hat (oder auf Österreichisch ein »G’spür«). Der Begriff der Empathie war eher etwas Semi-Esoterisches bzw. eine wirklich außergewöhnliche Gabe, die der »Pferdeflüsterer« Monty Roberts oder die Menschenaffenforscherin Jane Goodall besitzen – also eher eine übermenschliche Einfühlsamkeit. Doch eines hat sich nicht geändert: Unabhängig vom verwendeten Begriff suchen Unternehmen weltweit Menschen »mit dem gewissen Etwas« und meinen damit Führungskräfte, die anderen vermitteln, dass sie mehr sind als nur ein (austauschbares) Rädchen im System – nämlich Individuen mit Bedürfnissen, Gefühlen, Ängsten und Vorlieben. Oder mit anderen Worten: unverwechselbare, unvergleichliche, einzigartige Menschen.

Jahrzehntelang wurde in zahllosen Unternehmensleitbildern gebetsmühlenartig wiederholt, dass »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die wichtigsten Ressourcen sind«. In der Realität sah das sehr oft anders aus – aus dem einfachen Grund, dass man Empathie seinen Führungskräften nicht per neuem Geschäftsjahr verordnen kann, wenn diese nicht schon vorher bewusst und glaubwürdig gelebt wurde. Und ehrlichweise muss man auch feststellen, dass Empathie bis zur Jahrhundertwende für Unternehmensleitungen eher »nice to have« war, solange die Zahlen stimmten.

Heute ist vieles anders und das Bemühen um Fachkräfte hat in manchen Branchen ein tatsächliches Umdenken notwendig gemacht. Ganz abgesehen von der unbestrittenen Tatsache, dass empathische Führung das Leiten von Teams erleichtert und sie auch erfolgreicher macht, wird das Eingehen auf die eigene Persönlichkeit mittlerweile von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis zu einem gewissen Grad erwartet. Speziell die viel zitierten Generationen Y und Z und die sogenannten »Millennials« wollen sich in einem Team ernst genommen, geborgen und geschätzt fühlen. Ohne Führungskraft mit empathischen Fähigkeiten und entsprechender Sensibilität diesen neuen Grundbedürfnissen gegenüber ist das so gut wie unmöglich. Das bringt uns zu einer Reihe von entscheidenden Fragen:

  • Ist Empathie »erlernbar« oder ist sie eine »angeborene Gabe«, die man hat – oder eben nicht?
  • Trägt es überhaupt zum Erfolg eines Leaders bei, wenn er bzw. sie Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen imstande ist?
  • Braucht es also Einfühlungsvermögen, um gut führen zu können, oder reicht es aus, einfach »nett« zu sein?

Grundsätzlich haben Menschen – vor allem Führungskräfte – mit besonders ausgeprägten empathischen Fähigkeiten engere persönliche Beziehungen und können sich dadurch selbst und andere stärker motivieren. Warum? Weil sie instinktiv erkennen, wo jemand steht und was er bzw. sie in der Situation oder Lebenslage benötigt. Umgekehrt vertraut man Menschen mit Einfühlungsvermögen eher und man lernt schneller von ihnen.

Da wir in diesem Buch ja hauptsächlich von Leadern (und nicht von Führungskräften) sprechen, müssen wir auch bei der Empathie hohe Maßstäbe als Ideal annehmen. Denn wahre Teamleader zeichnen sich in der Regel durch hohe Einfühlsamkeit gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus. Sie spüren, wann wo der Schuh drückt, bevor die entsprechende Information artikuliert wird, und begegnen kleinen Unstimmigkeiten sofort aktiv und in einer Weise, die von den handelnden Personen als positiv, hilfreich oder motivierend empfunden wird.

Aber worauf kommt es hierbei an?

Empathie ist keine angeborene Superkraft, sondern zu einem großen Teil auch erlerntes bzw. trainiertes Verhalten. Genauer gesagt geht es hier um Achtsamkeit – also um ein bewusstes Wahrnehmen der Umwelt und von Menschen. Gestik, Mimik, Körpersprache, Stimme und natürlich Aussagen von anderen lassen achtsame Menschen recht exakt erkennen, wie es dem bzw. der anderen geht. Für Außenstehende ist es oft unerklärlich, wie Menschen andere Menschen lesen können. Für achtsame Menschen ist es ein lebenslang angelerntes Handwerk. Achtsamkeit bedingt natürlich nicht nur ein bewusstes Beobachten, sondern vor allem aktives Zuhören. Beides erfordert ein wenig Zeit, die sich Leader auch nehmen. Denn sie wissen, dass sich der dadurch entstehende Mehrwert für beide Seiten auszahlt. Warum? Weil sie dann über Dinge im Bilde sind, die zu artikulieren, zuzugeben, sich selbst einzugestehen oder überhaupt an sich selbst wahrzunehmen sich Menschen oft schwertun.

Empathische Leader wissen nach einem solchen Gespräch nicht nur, wie es dem Gegenüber geht, sondern kennen die Ursachen, die Motive und in erster Linie auch die persönlichen tief sitzenden Eigenheiten. Letzteres sind Informationen, die fortan in jedem Dialog mit der betroffenen Mitarbeiterin bzw. mit dem betroffenen Mitarbeiter automatisch miteinfließen und dabei helfen, individuell zugeschnittene Führung zu geben. Im Idealfall ist das die Grundlage für ein Vertrauensverhältnis, das in Zukunft dabei hilft, sehr klar, offen und wertschätzend miteinander umzugehen, was sich positiv in der Zusammenarbeit miteinander und im Team auswirkt.

Klingt wunderbar, …

…ist aber wie so vieles in diesem Buch etwas, dessen Umsetzung ambitionierte Arbeit an sich selbst erfordert. Denn die bewusste, achtsame Wahrnehmung ist nur der erste wichtige Teil. Der zweite ist die angemessene Reaktion auf das Wahrgenommene. Sind Sie dazu bereit (und in der Lage), nach der Wahrnehmung in Resonanz zu gehen, Verständnis mit Worten und Handlungen zu zeigen, Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen und auch als Führungskraft zu akzeptieren, dass die entsprechende Situation für Ihr Gegenüber vielleicht doch nicht so einfach ist, wie sie scheint? Und nur zur Erinnerung: Wir sprechen hier nicht von übersensiblen Samthandschuhberührungen oder einer semi-esoterischen Blümchenromantik, sondern von einer respektvollen, aufrichtigen, menschlichen Begegnung auf Augenhöhe – und zwar auf Dauer. Denn mit einem Mal ist es nicht getan. Wie reagiert der bzw. die andere auf Ihre Reaktion? Wie Sie auf seine bzw. ihre Wahrnehmung? Verständnis, Resonanz und Antizipation – schlagen Sie den empathischen Weg ein, sind Sie in einer Art positiver Endlosschleife unterwegs. Mehr noch: Nur in einer authentischen Endlosschleife, werden Sie auch als empathisch wahrgenommen. Empathisches Verhalten ist kein kurzfristiges Tool, sondern eine immerwährende innere Haltung!

Wer mehr zum Thema Empathie erfahren will, wird in „Führungsinstinkt“ fündig: Geschichten rund um die Charaktere Walter, Anton und Theo, Empathietrainung in sieben Schritten und einen Einblick in den Unterschied von Mitgefühl und Empathie. Auch weitere Impulse zur menschlich-instinktiven Führung beleuchten Anke van Beekhuis und Marco Seltenreich in ihrem Ratgeber.

Anke van Beekhuis

Anke van Beekhuis ist führende Expertin für High Performance Culture, Gender Balancing und ergebnisorientiertes Führen. Sie verfügt über mehrjährige Management- und Beratungserfahrung in nationalen und internationalen Unternehmen. Sie war lange Jahre als Bauleiterin für Bauprojekte zuständig und wechselte dann in Managementpositionen unterschiedlicher Branchen. 2005 gründete sie TheRedHouse, das 2019 zu BEEKHUIS Performance Culture wurde. Sie begleitet Unternehmen dabei, eine Unternehmenskultur zu etablieren, die einen Mehrwert generiert. Besonderes Augenmerk legt sie auf eine High Performance Culture oder Gender Balance Culture. Sie arbeitet mit internationalen Unternehmen an deren Kulturperformance und macht Führungskräfte fit für den Kulturwandel. Zusätzlich ist sie als Vortragende unterwegs und mehr als tausend Führungskräfte und Vorstände haben von ihrem Fachwissen profitiert. Führungsaufgaben hinterfragt sie tagtäglich und hat diese nach über 20 Jahren der Beobachtung in diesem Buch zusammengeführt.

Marco Seltenreich

Marco Seltenreich ist Journalist, Autor und Spezialist für interne Kommunikation. Im Rahmen seiner Tätigkeit für internationale Konzerne bzw. für soziale Einrichtungen ist es dem gebürtigen Wiener stets ein Anliegen gewesen, Brücken zwischen Menschen, Hierarchien, Ideologien und komplexen Zusammenhängen zu schlagen – im Idealfall mittels ungewöhnlicher oder überraschender Mittel. Besonders Humor, Satire und Kreativität sind dabei bevorzugte Instrumente, um ernste Botschaften unterhaltsam und nachhaltig zu vermitteln. Die Zusammenarbeit von Menschen, deren Motive und Gedankenmuster spielen in den „Selbstdenkgeschichten“ des Autors stets eine große Rolle. In Kombination mit den traditionellen Mitteln eines Sachbuchs ermöglichen sie eine ergänzende Sichtweise auf Problemstellungen und vermitteln dabei oft schwer greifbare Themen wie Empathie, Authentizität und Klarheit auf spielerische und intuitive Weise. Seltenreich lebt und arbeitet in Wien.