Empathie
Mit Empathie hält Monika Hein ohne jede Verurteilung der Gesellschaft den Spiegel vor das Gesicht der sozialen Kälte. Sie zeigt, was in unserer technisierten Welt verloren gegangen ist: der Mut, verwundbar zu sein, die Courage, den Panzer auszuziehen, den uns Effizienz- und Erfolgsstreben aufgezwungen haben. Was es bedeutet, mit anderen Augen auf unsere Welt zu schauen, können Sie im Folgenden lesen.
Der empathische Blick auf die Welt
Im täglichen Leben stellt sich die Frage, wem oder was gegenüber ich empathisch handle. Und da sind wir Menschen schon sehr verschieden. Wir erkunden auf sehr unterschiedliche Art und Weise die Landkarten anderer. Mal mehr, mal weniger. Mal mitfühlender, mal absolut blind.
Mir kommt es oft so vor, als könnten wir die Größe unseres Blickwinkels der Empathie steuern, fast schon je nach Laune und Befindlichkeit. Je sensibler und weicher wir sind, desto weiter öffnet sich dieser Blick auf die Welt: Wir lassen uns betreffen. Sich betreffen zu lassen, ist ein Wagnis, denn natürlich beeinflussen uns die Dinge, die auf dieser Welt geschehen. Gefühle anderer beeinflussen uns, wir können uns dem nur schwer entziehen, müssen das aber manchmal tun, um weiterhin unser Tagwerk erledigen zu können. Manches weckt bei uns sehr unbequeme Gefühle, sodass wir uns lieber dagegen entscheiden, hinzusehen. Wir entziehen uns, machen den sichtbaren Ausschnitt von der Welt wieder kleiner, wollen uns dem nicht aussetzen.
Ich möchte Ihnen ein klein wenig über meinen persönlichen Empathie-Blickwinkel erzählen. Seit ein paar Jahren versuche ich, einigermaßen bewusst durch die Welt zu gehen und entsprechend zu konsumieren. Wie man das macht? Tja, das muss jeder für sich selbst definieren; es ist schier unmöglich, über alle Konsequenzen unseres Konsums nachzudenken, dabei verliert man schnell den Überblick – oder den Verstand.
Überforderung in der Drogerie
Vor ein paar Jahren habe ich aufgehört, Fleisch zu essen, schränke tierische Produkte ein, achte auf tierversuchsfreie Produkte und darauf, dass der Umwelt und anderen Menschen nicht allzu sehr geschadet wird. Das betrifft in der Konsequenz dann zum Beispiel Kleidung (hier bin ich noch nicht sehr konsequent, muss ich gestehen!), Strom, Kosmetik und, und, und. Dabei den Überblick zu behalten, ist zuweilen recht kompliziert.
Eines Tages war es dann so weit, dass ich inmitten meines samstäglichen Einkaufs in der Drogerie stand und mich recht hilflos fühlte: Die Produkte, die frei von Tierversuchen hergestellt wurden, enthielten dafür zum Teil Mikroplastikpartikel, die unseren Meeren schaden. Die Produkte, die mir nicht gesundheitsschädlich erschienen, wurden aus fernen Ländern importiert, in denen Menschen von einem Mindestlohn und menschlichen Arbeitsbedingungen nur träumen können. Der Transport dieser Waren verschlechtert nebenbei noch die CO2-Bilanz.
Und so ging es an diesem Tag ununterbrochen weiter! In welche Ecke ich auch schaute, schrie es mich an: Immer ist Konsum heutzutage in irgendeiner Weise damit verbunden, einem Wesen zu schaden, Menschen und Tiere auszubeuten oder unsere Umwelt zu strapazieren. Wenn man sich das ernsthaft vor Augen führt, muss man erst einmal tief durchatmen. Natürlich kurbelt Konsum die Wirtschaft an, schafft Arbeitsplätze und sorgt für unser ständiges Wohlbefinden, keine Frage. Wir haben alles fast jederzeit verfügbar. Während es in meiner Jugend noch Tage gab, an denen man wirklich nirgends etwas kaufen konnte, ist das heute rund um die Uhr möglich.
Der negative Aspekt dieses Überflusses und der Konsequenzen lastete in diesem Moment, als ich dort stand, tonnenschwer auf meinen Schultern. Ich fühlte mich überwältigt von der großen Machtlosigkeit, die sich vor mir auftat. Natürlich gibt es viele gute Ratschläge, wie ich mich nachhaltig ernähren kann, wo ich Produkte ohne Verpackung bekomme, welche Biobauernhöfe das gute Gemüse produzieren, wie ich selbst Gemüse anbauen kann – nur um dann am Ende noch Ökospinner genannt zu werden …
Wie viel Empathie tut gut?
Ich habe immer wieder viele solcher Ideen und Impulse. Darüber denke ich so lange nach, bis mein Blickfeld so weit gezogen ist und so vieles freigibt, dass es mich überfordert. Bis ich mir bewusst machen muss, in welcher Welt ich lebe und dass es schier unmöglich ist, alles richtig zu machen und keinem zu schaden. Ich glaube, aus Angst vor dieser Überforderung legen sich viele Menschen Scheuklappen an und schauen nicht wirklich in die Welt. Denn würden sich mehr Menschen dem bewusst aussetzen, würden sie sich also freiwillig mit dem Unrecht, das in dieser Welt geschieht, beschäftigen, dann kämen sie vielleicht aus der Trauer gar nicht mehr heraus! Natürlich ist es dann einfacher, in der Komfortzone zu bleiben, nichts zu hinterfragen und nichts zu verändern. Das ist sehr menschlich und verständlich. Ich sehne mich manchmal nach der Zeit, als ich mir nicht halb so viele Gedanken um die Welt gemacht habe – das Leben war deutlich einfacher.
Wie also gehe ich mit dem empathischen Blick auf die Welt am besten um? Wie kann ich ihn steuern, sodass er mich nicht überwältigt? Wenn wir Empathie in uns wecken und ausbauen möchten, ist es wichtig, erst einmal zu prüfen: Wie geht es mir gerade? Kann ich mich darauf einlassen, die Lebensumstände anderer auf mich wirken zu lassen? Es gibt zum Beispiel Tage, da kann ich mir kein Tierschutzvideo anschauen – es würde mich am Boden zerstört zurücklassen. Also ist es wichtig, seine eigene Sicherheit, seine Standfestigkeit zu prüfen und sich bereit zu fühlen für die Anliegen anderer.
Die Autorin
Dr. Monika Hein ist promovierte Phonetikerin, Business-Trainerin und Business-Coach sowie als Stimm-Expertin auf Deutschlands Bühnen unterwegs. Sie trainiert seit 2004 Menschen aller Branchen in Sachen Stimme, Sprechen und Auftreten. Den Anfang ihrer Freiberuflichkeit machte sie in der Arbeit mit Schauspielern und Sprechern – dies waren wichtige Lehrjahre in der Tätigkeit der Autorin. Schauspieler fühlen sich in ihre Rollen ein und verkörpern diese. Empathisches Sprechen steht im Zentrum der Arbeit. Diesen Ansatz adaptierte sie für Menschen aller Berufsgruppen. Denn: Im Alltag ist es meist mit einem schönen Ton noch nicht getan. Oft liefert erst die Einfühlung in andere den Schlüssel zu einer wertschätzenden Kommunikation. Wenn wir uns selbst und andere verstehen und miteinander fühlen können, gelingen Situationen besser – ob im Beruf oder im Privatleben.