"Die Orbit-Organisation" von Anne M. Schüller und Alex T. Steffen

Den Kunden als Erfolgsfaktor zu erkennen, ist keine große Leistung. Allerdings bleibt es in der Regel bei dieser Erkenntnis. Anne M. Schüller und Alex T. Steffen gehen mit ihrem neuen Buch Die Orbit-Organisation deutlich weiter: In ihrem neuen Organisationsmodell wird Kundenorientierung nicht bloß gepredigt, sondern ist der Kristallisationspunkt der gesamten Unternehmensstruktur. Um dieses Zentrum kreisen die weiteren Aktionsfelder wie Geschäftsführung und Mitarbeiter in gleichmäßigen Bahnen. Lesen Sie im folgenden Ausschnitt von der neuen Kundenzentrierung.

Customer-Obsession: Vom Kunden her denken und handeln

Wer die Zukunft erreichen will, das haben wir eingangs betont, braucht eine Obsession für Kundenbelange. »Vom Kunden her denken« wird dabei zur Pflicht. Dies erfordert eine komplette 180-Grad-Wende: weg von Inside-out, hin zur Outside-in-Perspektive.

Dabei folgt man nicht länger dem selbstzentrierten alten Marketing, das fragt nämlich so: »Was bieten wir dem Markt und den Kunden wann, wie und wo an, damit wir noch erfolgreicher werden?« Die alte Push- Kommunikation dreht sich dabei vor allem um Selbstdarstellung und Eigenlob. Deren Kernfrage lautet:

Alt: »Was wollen wir kommunizieren?«

Das neue Marketing hingegen fragt so: »Was will / braucht / begehrt der Kunde von heute und morgen, und wie können wir helfen, seine Lebensqualität respektive seinen beruflichen und/oder geschäftlichen Erfolg zu erhöhen?« Die neue Pull-Kommunikation dreht sich folglich um hilfreiche Informationen und Problemlösungsaspekte. Kernfrage dabei:

Neu: »Was wollen die Kunden wissen?«

Die meisten Manager glauben, wenn wir sie fragen, sie seien in Sachen Kundenorientierung schon richtig gut. Doch die Kluft zwischen Eigen- und Fremdbild ist riesig. Während nämlich 80 Prozent der Führungskräfte denken, dass ihre Marke die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden kennt, bestätigen das gerade einmal 15 Prozent der Verbraucher, fand eine weltweite Studie des IT-Dienstleisters Capgemini heraus.29 Dieses gewaltige Maß an Selbstüberschätzung finden wir im Management überall. Ein verstellter Blick für das, was Kundenorientierung wirklich bedeutet, ist eher die Norm.

Empfängerorientiert ginge so einfach. Statt »unser Team« schreibt man »Ihre Ansprechpartner« auf die Website, und statt »Über uns« heißt es »Für Sie«. Statt »Zu vermieten« heißt es »Zu mieten« auf dem Werbeplakat und aus »Zu verkaufen« wird »Zu kaufen«. Im Meeting bleibt ein Stuhl frei, und wer sich draufsetzt, gibt die mahnende Stimme des Kunden, die darum bittet, doch auch an seine Belange zu denken. So kann die Egosicht endlich aus den Unternehmen verschwinden.

Erst der Kunde, dann die interne Effizienz! Dieser Perspektivenwechsel wird bei Amazon ganz konsequent gelebt. So wird dort nicht die Anzahl der eingegangenen Bestellungen gemessen, sondern die Anzahl der Bestellungen, die korrekt ausgeliefert und »in time« beim Kunden angekommen sind. Man geht also weg von Kennzahlen für die Finanzergebnisse hin zu Kennzahlen für den Kundennutzen. Man misst nicht nur das, was man durch gute Aktionen gewinnt, sondern auch das, was man durch kundenunfreundliche Aktionen verliert. »In jedem Land, in dem ich unterwegs bin, informiere ich mich zuerst darüber, wie es dort mit der Kundenzufriedenheit aussieht. Erst dann schaue ich mir die Umsatzzahlen an«, erklärt Jeff Wilke, Amazon-CEO und zweiter Mann nach Jeff Bezos, in einem Wirtschaftswoche-Interview. Und er ergänzt: »Wir sehen uns als Erfinder, die die Welt für ihre Kunden besser machen wollen.« Das Vom-Kunden-her-denken-Prinzip erklärt er so: »Wenn wir davon überzeugt sind, dass wir unseren Kunden in einem Bereich einen zusätzlichen Nutzen bieten können, schreiben wir zunächst eine interne Pressemeldung und fangen dann an, unser Projekt rückwärts zu realisieren.« Ist etwas nicht gut für die Kunden, wird es nicht umgesetzt.

Der Kaufprozess der Kunden von heute und morgen

Es wird immer schwieriger, mit der eigenen Kommunikation zum potenziellen Kunden durchzudringen. Und egal, ob im B2B oder im B2C: Käufer durchlaufen heute ganz andere Kaufprozesse als früher. Nahezu die gesamte Vorrecherche findet inzwischen online statt. Bis zu 95 Prozent aller Kaufvorentscheidungen fallen heute im Web. 73 Prozent des relevanten Traffics findet dabei auf Drittanbieter-Plattformen statt. 31 Hierbei greifen Anschaffungswillige auf durchschnittlich zehn Webinhalte zu, bevor sie eine Entscheidung treffen. In Fachforen folgt man den Diskussionen der User. Im Social Web forscht man nach Referenzen. Auf Bewertungsportalen zählt man Sterne. Man sucht nach Produkttests und Preisvergleichen – und nach Erfahrungsberichten von Leuten, die genau die Aufgabe bereits erledigt haben, die man selbst noch vor sich hat. »Wer hat das schon gekauft?« »Welche Erfahrungen habt ihr mit … gemacht?« »Sind die seriös?« So holt man sich zur eigenen Sicherheit die Meinungen anderer ein.

Die O-Töne Dritter spielen im Kaufprozess längst eine Schlüsselrolle, weil sie Zeit sparen helfen und vor Entscheidungsfehlern bewahren. Wenn neun von zehn Kunden dazu raten, besser die Finger von einer Sache zu lassen, können selbst Werbemillionen nichts mehr bewirken. Glaubwürdige Empfehlungen sind die ehrlichste Form der Kommunikation, weil sie für die Qualität eines Marktplayers bürgen. Advocacy-Marketing, also das Gewinnen von Kundenfürsprache, ist damit das erste Mittel der Wahl. Wer profitables Neugeschäft will, für den sind alle Formen von WoM, Word of Mouth, heute ein Muss. Positive Mundpropaganda steht am Ende einer guten Kundenbeziehung und immer öfter auch am Anfang eines Kaufprozesses.

Wer schlechte Noten bekommt, weil die Produkte nicht halten, was sie versprechen, weil der Service nicht stimmt oder das Vorgehen im Vertrieb unakzeptabel ist, fällt holterdiepolter durch den Rost, ohne dass es je zu einem direkten Kontaktversuch kommt. Das bedeutet: Anbieter, die ein schlechtes Bild abgeben, verlieren das meiste potenzielle Geschäft, ohne dies überhaupt zu bemerken. So müssen sich Unternehmen einerseits ganz neue Gedanken um die Qualität ihrer Kundenbeziehungen machen. Andererseits müssen sie Interessenten, zu denen eine Leistung von vorneherein schon gar nicht passt, gezielt davon abhalten, diese zu kaufen, damit es keine negativen Kommentare gibt. Dies ist ein ziemlich neuer Gesichtspunkt.

Das betrifft aber doch wohl nur das Neugeschäft und den Erstkauf? Ganz und gar nicht. Auch Bestandskunden informieren sich ständig weiter. Die bedingungslose Loyalität von einst, die gibt es nicht mehr. Hatten sich Kunden früher für einen Anbieter entschieden, blieben sie diesem, solange nichts schieflief, meistens treu. »Da weiß man, was man hat« war ein gängiger Spruch. Markttransparenz zu bekommen war schwer und die Gefahr, eine Fehlentscheidung zu treffen, demgemäß hoch. Heute ist das völlig anders. Digitalisierte Kunden sind nur so lange treu, bis ein besseres Angebot kommt. Kündigungen sind dank Aboalarm & Co. heutzutage in Sekundenschnelle erstellt.

Die Autoren

Anne M. Schüller kennt die klassischen Unternehmensstrukturen aus dem Effeff. Weit über zwanzig Jahre lang hat sie in leitenden Positionen internationaler Dienstleistungsunternehmen gearbeitet. „Einerseits war ich schon immer eine Querdenkerin und habe – zum Verdruss vieler – so manche der ‚üblichen‛ Vorgehensweisen ad absurdum geführt. Andererseits habe ich vieles unhinterfragt mitgetragen, weil es damals einfach so Usus war“, sagt sie heute. Die Zeit der Shareholder-Value-Denke hat sie hautnah miterlebt.
2002 hat sie sich aus der Konzernwelt verabschiedet. Seitdem arbeitet sie als Keynote-Speaker, Managementdenker und Business-Coach. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft im deutschsprachigen Raum. Ferner hat sie eine Reihe von Büchern geschrieben, in denen es, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, immer um das Zusammenspiel zwischen Kunde, Mitarbeiter und Organisation geht. Kundenfokussierte Unternehmensführung ist der Oberbegriff, den sie dafür geprägt hat.

Alex T. Steffen lebt Transformation mit Leichtigkeit. Er ist Vortragsredner, Leadership-Trainer und Unternehmer. In seiner Zusammenarbeit mit internationalen Unternehmen und Regierungsorganisationen hilft er, das Digitale und das Menschliche besser zu einen. Hauptaugenmerk seiner Arbeit ist es, die digitale Kompetenz und die unternehmerische Denkweise zu fördern. Seine Zielsetzung: Das Gestalten robusterer Organisationen und Teams in Zeiten des Wandels.