Niemals "Augen zu und durch"!

Berufspilot, Managementtrainer, Fluglehrer und Unternehmer. Das Allround-Talent Peter Brandl überzeugt auch in der 5. Auflage von Crash Kommunikation mit lebensnahen Beispielen, die sowohl für Piloten als auch fürs Bodenpersonal gelten. Übertragen also auf Manager und ihr Team. In diesem Ausschnitt zeigt er, dass „Augen zu und durch!“ in brenzligen Situationen keinesfalls die beste Methode ist.

Das Flugzeug sinkt immer weiter und unterschreitet immer wieder die Minima der vorgeschriebenen Flughöhe. Darauf werden die Piloten durch das »Ground Proximity Warning System« (GPWS) auch aufmerksam gemacht. Außerdem ist die Sinkgeschwindigkeit zu hoch. 1000 Fuß sind etwa 300 Meter. Die Anfluggeschwindigkeit eines Passagierjets liegt je nach Gewicht bei zirka 140 Knoten, etwa 250 Stundenkilometern. Wenn Sie sich mit diesen Geschwindigkeiten im Nebel bewegen, sollten Sie sich schon sehr sicher sein, dass nichts im Weg ist, oder? Beim geringsten Zweifel gibt es nur eine Reaktion: durchstarten.

Währenddessen sagt der Pilot schon fast beschwörend: »24 (00 Fuß), das Minimum … [visuellen] Bodenkontakt habe ich … wir gehen weiter im Moment … es kommt hervor, Bodenkontakt haben wir … wir gehen weiter …« Schließlich meldet die Automatenstimme des Radiohöhenmessers, dass man sich nur noch 300 Fuß über dem Boden befindet (»Minimum: 300«). 300 Fuß sind circa 90 Meter. Bei einer Sinkgeschwindigkeit von 1200 Fuß pro Minute haben Sie jetzt noch 15 Sekunden bis zum Boden (Bäume nicht eingerechnet). Erst da entschließt sich der Pilot, der die Landebahn immer noch nicht sieht, nach kurzem Zögern, noch einmal durchzustarten. Doch während er das Manöver einleitet, kracht es bereits. Die Maschine hat Bäume gestreift und stürzt in ein Waldgebiet fünf Kilometer vom Flughafen entfernt. Das Flugzeug fängt sofort Feuer. 24 Menschen sterben, darunter die beiden Piloten. Neun Passagiere überleben den Aufprall.

Die eingeleitete Untersuchung ergab wieder einmal eine Reihe von ungünstigen Umständen: Im Kartenmaterial waren Hindernisse im Anflug auf Landebahn 28 nicht verzeichnet, die Flugüberwachung war unterbesetzt, der Kopilot war nicht einmal halb so alt wie der Kapitän und traute sich nicht, seinem ehemaligen Fluglehrer (!) zu widersprechen. All das allein führte jedoch nicht zum Absturz: Es musste ein Pilot hinzukommen, der Warnsignale systematisch missachtete, weil er schnell nach Hause wollte, und der gerne auf Sicht flog. Gefördert wurde das offenbar durch eine laxe Sicherheitskultur bei Crossair: »Im Rahmen der Untersuchung wurden über 40 Vorfälle aus den Jahren 1995 bis 2001 erhoben, bei denen Besatzungen eigene Verfahren entwickelt oder Verfahrensvorgaben nicht eingehalten hatten«, heißt es im offiziellen Abschlussbericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen. Der Schweizer Infodienst swissinfo.ch kolportiert außerdem eine merkwürdige Einstellungspraxis bei Crossair: »Neu angestellten Kopiloten soll Suter [Gründer und Verwaltungsratspräsident der Crossair] laut der Anklageschrift bei einem offiziellen Essen jeweils erklärt haben, dass ein guter Crossair-Pilot ohne Probleme unter die Mindestanflughöhe sinken könne und dies auch tue, um trotz widriger Sichtverhältnisse landen zu können«, heißt es anlässlich der Prozesseröffnung gegen die frühere Unternehmensleitung.9 Das ging offensichtlich lange gut und führte zu einer riskanten »Augen zu und durch«-Mentalität.

Niemals »Augen zu und durch«! Gerade kurz vorm Ziel gilt: Augen auf und volle Konzentration! Seien Sie bis zum Schluss »Go-around-minded« - dazu bereit, beispielsweise einen Geschäftsabschluss oder eine Verhandlung noch einmal zu vertagen.

Der Autor

Peter Brandl ist Unternehmer, Managementtrainer, ehemaliger Berufspilot und Fluglehrer und gilt als einer der führenden Kommunikationsexperten im deutschsprachigen Raum. Er berät und trainiert Unternehmen in den Bereichen Kommunikation, Verhandlungstechniken und Konfliktmanagement. Dabei kombiniert er seine über 20-jährige Erfahrung mit neuesten Erkenntnissen aus der Luftfahrt und überträgt dieses Wissen auf alltägliche Situationen. Brandl versteht es, in seinen Vorträgen und Veranstaltungen das Publikum zu begeistern, zu unterhalten, mitzureißen und zu motivieren.

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