Eine Frage des Charakters
In Die Illusion der Unbesiegbarkeit stellen Andreas Krebs und Paul Williams klar heraus, welche Elemente den Untergang eines Unternehmens beschleunigen oder auch besiegeln können. Von einem besonderen Risikofaktor weiß fast jeder, aber meist wird nur hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt. Die Rede ist natürlich vom Chef. Andreas Krebs und Paul Williams erklären, welche Charakterzüge von Vorständen, CEOs und Top-Managern besonders gefährlich sind.
Wenn Alphatiere aufeinanderprallen
Was, würden Sie sagen, braucht jemand unbedingt, der in einem Unternehmen oder einer anderen Institution (NGO, politische Partei, Bürgerinitiative, moderne Behörde ...) ganz nach oben kommen will? Intelligenz? Kreativität? Rhetorisches Geschick? Vielleicht schütteln Sie gerade den Kopf, und das zu Recht. All diese Eigenschaften nützen wenig, wenn eine andere fehlt: Durchsetzungsvermögen. Nach oben wird man nicht von einer warmen Welle gespült. Man muss sich gegen Mitbewerber behaupten, entschlossen auftreten, gelegentlich auch die Ellbogen ausfahren. Man darf sich nicht schlaflos im Bett wälzen, weil ein unterlegener Konkurrent vielleicht gerade seinen Kummer in der nächsten Bar ertränkt. Wenn aber Karriere eine Selektion der Durchsetzungsfähigsten und Robustesten ist, treffen auf den Teppichetagen der Unternehmen zwangsläufig die Alphatiere aufeinander – siegesgewohnte und erfolgsorientierte Macher. Das erklärt manchen Konflikt und seine scheinbar lächerlichen Ursachen. Eine unserer Gesprächspartnerinnen erinnerte sich an ein frappierendes Beispiel.
Prof. Dr. Iris Löw-Friedrich, Topmanagerin und Multi-Aufsichtsrätin:
„In einer meiner früheren Funktionen forschte das Unternehmen zu einem verbreiteten Krankheitsbild. In solchen Fällen gibt es in den USA immer große Galas, um Spenden zu sammeln. Wir waren in einer Partnerschaft mit einem anderen Unternehmen, und die beiden CEOs saßen bei diesem sozialen Event an einem Tisch. Die Vorsitzende einer Patientenorganisation sprach einleitend ein paar Dankesworte. Zu Beginn ihrer Rede nannte sie nach Meinung einiger Vorstände den „falschen“ CEO zuerst, nämlich den des Partnerunternehmens. Das ruinierte nicht nur den Abend, sondern auch die geschäftliche Zusammenarbeit. Die persönliche Ebene stimmte danach nicht mehr, und das nur wegen einer arglosen Begrüßungsrede, die leider auf übergroße Egos traf. Es war ein Rieseneklat ohne triftigen Grund.“
Falls Sie das merkwürdig finden, stellen Sie Ihr Auto doch ein, zwei Mal irrtümlich auf dem CEO-Parkplatz ab und warten sie ab, was passiert. Steve Jobs soll einen Manager postwendend gefeuert haben, weil der es wagte, auf einer Flipchart-Skizze von Jobs einen kleinen Zusatz anzubringen. Und wir wissen von einer Chef-Sekretärin, die beinahe ihren Job verloren hätte, weil sie dem neuen Vorgesetzten einen Joghurt im Plastikbecher servierte, statt diesen vorher in ein Glasschälchen umzufüllen. Solche Vorfälle verdeutlichen, dass viele Eigenschaften, die beim Aufstieg nützlich sind – etwa ein starkes Selbstbewusstsein und eine gewisse Härte – ins Zerstörerische umschlagen können. Der Mediziner und Psychotherapeut Gerhard Dammann widmet sich in einem viel beachteten Fachbuch den „Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage“. Als narzisstische Eigenschaften, die sich günstig auf die Karriere auswirken, nennt Dammann unter anderem:
- „übersteigertes Selbstwertgefühl“
- „Tendenz, sich zu überschätzen“
- „suchtartiges Arbeitsverhalten“
- „Fähigkeit, andere zu lenken, zu beeinflussen oder zu manipulieren“
- „Gefühlskälte, Mangel an Empathie“
- „Risikofreudigkeit“.[1]
Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zum pathologischen Narzissmus, den für Dammann z.B. das Gefühl, auch ohne besondere Leistung „etwas Besonderes“ zu sein, ständige Fantasien von Erfolg und Macht sowie die Instrumentalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen kennzeichnend sind.[2] Wo verläuft die Grenze zwischen einem „starken Selbstbewusstsein“ und einem überzogenen Glauben an die eigene Großartigkeit? Und wie stark verschiebt sich diese Grenze möglicherweise durch eine Serie von Erfolgen? Kippt ‚gesunder‘ Narzissmus ins Extreme, werden Misserfolge als persönliche Kränkungen empfunden, die nach Rache schreien. Das kann dann schon mal fragwürdige Millioneninvestitionen zur Folge haben. Oder das Gruseln lehren, wenn ein Mensch dieses Schlages an die Macht kommt und sogar US-Präsident wird.
[1] Dammann 2007, S. 40.
[2] Ebd., S. 43
Bürowahnsinn: Die Mauer muss weg!
In einem Verlag waren die beiden gleichberechtigten Geschäftsführer so zerstritten, dass sie sich vollkommen gegeneinander abschotteten. Man sprach nicht mehr miteinander, kam nur noch auf der monatlichen Geschäftsleitungssitzung zusammen. Ansonsten lief die gesamte Kommunikation über die Mitarbeiter. Dann griff man zum Äußersten: Man baute eine Mauer! Ja, der Gang zwischen den (Herrschafts-) Bereichen der Herren wurde zugemauert. Es gab nur noch Zugänge aus dem Stockwerk darunter. Selbst die gemeinsame Dachterrasse musste geteilt werden. Die beiden Vorzimmerdamen ließen sich von der Fehde ihrer Chefs anstecken und pflegten ebenfalls eine innige Feindschaft. Der neue Geschäftsführer und alleinige Nachfolger der beiden (wir kennen ihn persönlich) berichtete uns von seiner ersten Aktion: Die Mauer muss weg! Über die Jahre war mitten im Unternehmen und mittlerweile auch in den Köpfen der Mitarbeiter eine echte Demarkationslinie entstanden.
Wer den Kopf schüttelt, wie zwei machtorientierte Inca-Brüder einen Bürgerkrieg anzetteln und ein ganzes Reich verspielen können, muss angesichts solcher Beispiele einräumen: Unsere psychische Grundkonstitution ist noch dieselbe wie vor 500 Jahren. Konflikte in der Topebene eines Unternehmens sind eben deswegen wahrscheinlich, weil hier die Kämpfernaturen mit Führungsanspruch versammelt sind. Ob diese überwiegend konstruktiv (zum Wohle des Unternehmens) oder destruktiv (ohne Rücksicht auf Verluste) ausgetragen werden, hängt davon ab, ob man die richtigen Leute befördert hat oder Persönlichkeiten, deren Machthunger alles andere überstrahlt – Menschen mit viel Ehrgeiz und ohne Werte, um Jack Welchs Matrix aufzugreifen. Dabei rechtfertigt auch ein anfänglicher Erfolg rücksichtsloser Charaktere nicht deren Mittel: Irgendwann kommt der Moment, in dem Kurskorrekturen erforderlich werden. Und genau dann ist niemand mehr da, der dem Machtmenschen noch etwas entgegensetzt. Auch Aufsichtsräte haben sich in der Vergangenheit in solchen Fällen oft durch erstaunliche Zurückhaltung desavouiert.
Die Autoren
Andreas Krebs ist Unternehmer, international erfahrener Manager sowie Referent zu Leadership, Globalization und Entrepreneurship. Als einer von wenigen Deutschen hat er es in einem „Big Pharma“-Konzern in das Executive Board und „Corporate America“ geschafft. Andreas Krebs ist Mitinhaber des Venture-Capital-Unternehmens Cologne Invest, das in junge Start-ups und Wachstumsunternehmen in vielen Branchen und der New Economy investiert. Bis 2010 hat Andreas Krebs in internationalen Führungspositionen für die Bayer AG und die Wyeth Corporation gearbeitet, zuletzt als Konzernvorstand in den USA, mit über 8000 Mitarbeitern in 96 Ländern. Er war in sieben Ländern tätig, in UK, Österreich, neun Jahre in Lateinamerika, in Asien, Canada und zuletzt in den USA. Seit 2010 ist Andreas Krebs Aufsichtsratsvorsitzender der Merz GmbH & Co. KGaA, Frankfurt, und hat weitere Beirats- und Aufsichtsratsmandate in unterschiedlichen Branchen inne. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Girassol e.V., der sich für minderbemittelte Kinder und Jugendliche in Sao Paulo/Brasilien engagiert.
Paul Williams ist Unternehmer, international erfahrener Manager und Coach. Seit 2003 führt er als Managing Partner das Beratungsunternehmen paul williams & associates in Monheim am Rhein, mit den Schwerpunkten Leadership Coaching, Selbstmanagement, Management-Diagnostik und Organisationsentwicklung. Für die Bayer AG war der Naturwissenschaftler und gebürtige Engländer im internationalen Vertrieb, im Marketing und im General Management in Australasien, den USA, Nahost und Afrika tätig. Ab 1995 war Paul Williams weltweit mit Human-Resources-Verantwortung betraut, unter anderem in den Bereichen Vertrieb International, Globale Forschung und Produktentwicklung.