"30 Minuten Fairness im Arbeitsalltag" von Ulrich Wiek
Das Leben ist nun einmal nicht immer fair, auch nicht das Arbeitsleben. Das Gefühl, dass wir ab und zu ungerecht behandelt werden, gehört zum Arbeitsalltag dazu, weiß Ulrich Wiek. Ungerechtigkeit passiert, wir können das nicht vollständig verhindern, aber wir können darauf reagieren – am besten fair – sonst vermehrt sie sich und kommt wie ein Bumerang zurück. Wie das am besten geht, macht der Fairness-Trainer und -Coach in 30 Minuten Fairness im Arbeitsalltag vor.
Fairness belohnen hilft gegen Unfairness
Es empfiehlt sich, nicht zu schnell an Sanktionen und Strafen zu denken. Diese gehören selbstverständlich in unseren Methodenkoffer, aber eher als letztes Mittel. Die Fairness-Kultur in unserem beruflichen Umfeld können wir stattdessen dadurch beeinflussen, dass wir unseren Blick bewusst auf Fairness richten. Wenn wir etwas Negatives verhindern möchten, können wir das auch dadurch erreichen, dass wir (uns) das Positive bewusst machen und es herausstellen, würdigen und belohnen.
Beispiel: In der Teambesprechung bedankt sich die Kollegin im Beisein aller bei einem Kollegen, der bei einer Kundenpräsentation einige Tage zuvor die Zuarbeit der Kollegin ausdrücklich herausgestellt und einen Rechenfehler zu Recht auf seine Kappe genommen hat.
Den meisten von uns bedeutet es viel, wenn sich jemand aus unserem Umfeld, zum Beispiel ein Kollege oder die Chefin, explizit bei uns für unser faires Handeln bedankt. So ein Dank kostet (betriebswirtschaftlich) nichts, die Wirkung ist jedoch enorm.
Wir können natürlich auch noch einen Schritt weitergehen und „positive Sanktionen“ einsetzen, das heißt materielle oder anderweitige Belohnungen.
Beispiele: Auch wenn der eine oder die andere den Vorschlag belächeln wird: Der Blumenstrauß oder die Einladung zum Kaffee als Dank für ein faires Handeln werden nicht wirkungslos sein. Wem das zu wenig ist: Eine Belohnung kann auch die Erlaubnis sein, als Erste oder Erster den eigenen Wunschurlaubstermin in den Jahreskalender einzutragen. Natürlich sind auch finanzielle Bonuszahlungen möglich, in vielen Fällen aber vielleicht gar nicht notwendig.
Entscheidend ist der Impuls, der zu fairem Verhalten anregt. Damit machen wir unfaires Handeln ein kleines Stück unwahrscheinlicher.
Im Arbeitsalltag wird es zu Unfairness kommen, wir können es nicht immer verhindern. Deshalb sollten wir uns darauf vorbereiten – allerdings nicht unbedingt mit der Bereitschaft, selbst unfair zu werden. Es gibt bessere Wege, zum Beispiel sich für faires Verhalten ausdrücklich zu bedanken oder es zu belohnen.
Unfairness fair begegnen
Es gibt verschiedene Reaktionsmöglichkeiten, wenn wir mit Unfairness konfrontiert werden. Dabei lässt sich unterscheiden zwischen Situationen, in denen wir allein reagieren können oder auch müssen, und solchen, die im Team oder auf Organisationsebene angegangen werden können.
Bleiben und beistehen
„Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Sich in einer Situation der Unfairness allein zu fühlen, ist für jeden schwer. Unterstützung durch andere tut hingegen gut. Dies kann in einem ersten Schritt bedeuten, überhaupt nur da zu sein und nicht (verschämt) wegzuschauen bzw. wegzugehen.
Für das Opfer von Unfairness besteht im unmittelbaren Augenblick die große Gefahr, in den klassischen Flucht-oder-Kampf-Zustand zu verfallen. Entweder wir flüchten dann, schlucken alles herunter und sind tief verletzt; oder wir schlagen zurück und greifen selbst in die Kiste der unfairen Tricks. Allein die Anwesenheit von Dritten kann hier beruhigend wirken und uns als Opfer den Mut geben, um Hilfe zu bitten.
Auch als BeobachterIn wird uns ein konstruktiver Umgang mit einer solchen Situation leichter fallen, wenn wir nicht allein sind. Wir können uns gegenseitig zumindest mit Blickkontakten oder Mimik signalisieren, dass wir gemeinsam da sein wollen.
Bei Unfairness gilt es, präsent zu sein und nicht einfach wegzuschauen oder wegzugehen.
Unfairness ansprechen
Die reine Anwesenheit ist ein erster Schritt. Noch wirkungsvoller ist es, die Wahrnehmung von Unfairness auch anzusprechen – gegenüber TäterIn, Opfer, BeobachterInnen und später ggf. auch gegenüber nicht anwesenden Personen (Vorgesetzte, Betriebsrat …).
Manchmal bekommt der oder die TäterIn nichts davon mit, dass er/sie als unfair wahrgenommen wurde. Dann würde es ihm/ihr helfen, wenn das Opfer oder BeobachterInnen aktiv werden und es mitteilen. Dieses Ansprechen ist nicht immer einfach, manchmal auch eine heikle Angelegenheit. Deshalb erfordert es zum einen Mut (es hilft ein Blick auf die Risiken des Nichtstuns). Zum anderen brauchen wir die entsprechende Kommunikationskompetenz, damit das Ansprechen nicht zur (emotionalen) Eskalation führt.
Dabei spielt auch das Timing eine wichtige Rolle. Solange eine beteiligte Person noch im „kognitiven Nebel“ der Gefühle ist, sollte sich die Kommunikation darauf beschränken, durch empathische Verbalisierungen ein Abkühlen der Emotionen zu erreichen:
Beispiele: „Herr Müller, ich kann verstehen, dass Ihnen das nahegegangen ist“; „Frau Meier, ich habe das Gefühl, das war eben eine schwierige Situation für Sie.“
Sind die Beteiligten wieder auf einem beherrschbaren Stressniveau angelangt, helfen Rückmeldungen zur eigenen Wahrnehmung, die so wenig vorwurfsvoll wie möglich formuliert sein sollten:
Beispiel: „Herr Schulz, mich hat Ihr Verhalten vorhin in der Sitzung ehrlich gesagt irritiert.“
Wichtig sind konkrete Begründungen, warum wir das Verhalten als unfair wahrgenommen haben, entlang der beschriebenen Formen der Fairness.
Beispiel: „Ich hatte das Gefühl, dass Herr Schmidt sich nicht genug einbringen und seine Ansicht nicht vertreten konnte …“ (Voice)
Natürlich fällt es uns leichter, wenn wir nicht die einzige Person sind, die diese Wahrnehmung äußert. Es kann sinnvoll sein, sich Einschätzungen von anderen Beteiligten einzuholen. Aber auch ohne diese sollten wir berechtigte Kritik aktiv äußern.
Wir werden den Mut dazu umso eher finden, je mehr dies auf Team- oder Organisationsebene gefördert wird. Offizielle Beschwerdeverfahren oder regelmäßige Anlässe in Meetings machen es uns leichter.
Tipps, um das Ansprechen von Unfairness zu fördern
• Vereinbaren Sie in Ihrem Team, dass bei jedem dritten oder vierten Jour fixe fünf Minuten Zeit für die Frage bleibt: „Wo haben wir in den letzten Wochen Fairness erlebt und wo Unfairness?“ Sie können auch das „Fair Play der Woche“ besprechen.
Unfair Handelnde zur Fairness ermutigen
Je besser wir die Ursachen für Fairness kennen, umso eher können wir der unfair handelnden Person helfen bzw. verhindern, dass Menschen unfair sind oder unfair werden. Eine wirkungsvolle Methode gegen Unfairness ist ehrliches, konstruktives Feedback. Wir können beispielsweise KollegInnen darin unterstützen, eine andere Selbstwahrnehmung zu erreichen, um ein Gespür für ihr unfaires Verhalten zu erhalten.
Wir können im Gespräch mit ihnen auch alternative Handlungsoptionen entwickeln: „Wie könnten Sie in Zukunft anders handeln?“ Besonders Erfolg versprechend ist dies, wenn wir nicht mit Vorwürfen und Vorschlägen hantieren, sondern durch Fragen die Selbsterkenntnis beim anderen anstoßen („Hilfe zur Selbsthilfe“).
Vorbilder machen es leichter
Wenn sich ein Kollege, eine Chefin oder ein Kunde souverän, fair und konstruktiv gegen Unfairness wehrt, zeigt uns dies, dass es geht. Wir sollten nicht versuchen, andere einfach zu kopieren, aber wir können uns von ihnen ermutigen lassen und von ihnen lernen. Übrigens: Vorbilder im Umgang mit Unfairness können wir alle sein, ob als Opfer, BeobachterIn oder auch als TäterIn. Denn auch TäterInnen können sich vorbildlich verhalten, indem sie eingestehen, unfair gehandelt zu haben, und ihr Verhalten zukünftig ändern.
Mehr darüber, inwiefern Rituale und Symbole wie Gelbe Karten, aufrichtige Entschuldigungen und schriftliche Beschwerden gegen Unfairness helfen und warum Strafen und Sanktionen besser immer das letzte Mittel sein sollten, erfahren Sie in „30 Minuten Fairness im Arbeitsalltag“ von Ulrich Wiek.
Ulrich Wiek
Dr. Ulrich Wiek ist zertifizierter Fairness-Coach/-Trainer, Experte und Impulsgeber für Fairness in Kommunikation und Führung. Seit 1999 unterstützt er MitarbeiterInnen, Führungskräfte und Unternehmen als Trainer, Berater und Coach, auch international in englischer Sprache. Nach dem Studium (BWL und Sozialwissenschaften) prägten ihn zunächst 20 Jahre Berufserfahrung in unterschiedlichen Positionen in der Industrie sowie im Handel, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und öffentlichen Dienst. Als Fachbuchautor arbeitet er konsequent an der Frage, wie wir wissenschaftliche Erkenntnisse fundiert und praxisorientiert für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Berufsalltag nutzen können. In seinen Workshops, Trainings und Vorträgen lebt er seine Erfahrung und Stärken aus: fair, fundiert und für die Praxis.