"Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen" von Nele Kreyßig

Einem Introvertierten vorzuwerfen, dass er kein Partylöwe ist und ihm gleichzeitig zu raten, sich ins Partygetümmel zu werfen, ist etwa genauso klug, wie einem Pinguin Tipps zum Upgrade seiner Kletterkünste zu geben. Warum das nichts bringt, wie wir stattdessen die Bewertungsbremse ziehen und weshalb es sich lohnt, die Stärken hinter den Eigenheiten der Anderen zu entdecken, verrät Nele Kreyßig in Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen. In ihrem Ratgeber liefert sie uns sieben Strategien, mit denen wir mit den Menschen, die wir am liebsten ändern würden, ab sofort ganz anders als bisher umgehen können. Lernen Sie jetzt die Pinguin-Strategie kennen – für mehr Spaß im Zoo des Lebens.

Die Pinguin-Strategie

Werfe ich dem Pinguin vor, dass er nicht klettert?

»Wenn du als Pinguin geboren wurdest, machen auch sieben Jahre Psychotherapie aus dir keine Giraffe«, warnt Eckart von Hirschhausen in der »Pinguin-Geschichte« auf seiner Website. Anlass für die Geschichte, die sich wirklich zu lesen lohnt, war ein Zoo-Erlebnis Hirschhausens: Auf seinen Felsen wirkt der Pinguin unbeholfen und wie eine Fehlkonstruktion. Erst als er ins Wasser springt, offenbart sich seine Eleganz und rasante Schnelligkeit. In seinem Element ist der Pinguin eine beeindruckende Erscheinung. Hirschhausen nimmt das zum Anlass, seine Leserinnen und Leser zu ermuntern, ihre Stärken auszuleben – sich ihr wahres Element zu suchen –, statt mit ihren Schwächen zu hadern.

Im wahren Leben kämpfen wir nicht nur mit unseren eigenen Schwächen oder Eigenheiten, viele von uns werfen noch lieber anderen die ihren vor (oder das, was sie dafür halten). Wann haben Sie das letzte Mal zu jemandem gesagt: »Sei doch nicht immer so … (ängstlich / forsch / leichtsinnig / unaufmerksam / gutgläubig etc.)!«? Häufig handelt es sich bei den kritisierten Eigenschaften um solche, die tief in der Persönlichkeit verwurzelt und zum Teil genetisch bedingt sind. Einem zurückhaltenden und ruhigen (introvertierten) Menschen vorzuwerfen: »Mit dir kann man wirklich keinen draufmachen! Warum stürzt du dich nicht einfach mal ins Partygetümmel?«, ist ungefähr so sinnvoll, wie dem gerade erwähnten Pinguin kluge Tipps zur Verbesserung seiner Klettertechnik zu erteilen. Ziehen Sie lieber die Bewertungsbremse. Bevor Sie sich ärgern oder eine unbedachte Bemerkung machen, könnten Sie sich beispielsweise fragen:

1) Warum macht die oder der andere das so?

2) Warum stört mich das?

3) Bin ich gerade gerecht?

Und, last but not least:

4) Was ist eigentlich das Gute an dieser Eigenschaft der Person, die ich gerade kritisieren möchte?

Häufig verdrängen wir, dass fast jeder Charakterzug und beinahe jede Vorliebe auch gute Seiten hat. Der introvertierte Freund ist ein klasse Zuhörer. Die forsche Kollegin macht sich erfolgreich für Mitarbeiterinteressen stark, auch da, wo andere längst eingeknickt sind. Der gutgläubige Nachbar ist wunderbar hilfsbereit. Rufen Sie sich wieder in Erinnerung, wozu etwas gut ist, bevor Sie sich ärgern oder urteilen.

Gehen Sie sogar noch einen Schritt weiter: Was können Sie von einer Person lernen, die Ihnen spontan gehörig auf die Nerven geht? Manchmal steckt in unserem Ärger eine Portion Neid: Wir ärgern uns, weil ein anderer etwas auslebt, was wir uns selbst nicht trauen oder gönnen – etwa Termine etwas lässiger zu nehmen, frei mit einer Meinung herauszuplatzen, Forderungen zu stellen. Wir ärgern uns also, weil wir im anderen (vermeintliche) Schwächen erkennen, die wir selbst mit viel Mühe in Schach halten: Wenn wir uns anstrengen, kann man das ja wohl auch vom anderen erwarten, oder?

Warum eigentlich? Möglicherweise wird auch umgekehrt ein Schuh daraus und der andere zeigt uns, wie man mit sich selbst etwas nachsichtiger und fürsorglicher umgehen kann. Ein simples Beispiel: Freundin A regt sich fürchterlich über Freundin B auf, die auf ihrer Geburtstagseinladung ankündigt, für Getränke und Suppe sei gesorgt. Daneben möge jeder Gast bitte etwas Süßes oder Salziges mitbringen. »Und die Suppe bestellt sie sogar noch beim Catering, die ist noch nicht mal selbst gemacht!«, ereifert sich Freundin A. Sie selbst steht vor eigenen Feiern tagelang in der Küche, da in ihrer Welt nur »Selbstgemachtes« wirklich wertvoll ist. Wer macht es nun »richtig« – A oder B? Das ist wohl einfach Geschmackssache. Statt sich über B zu ärgern, könnte A erkennen, dass auch sie ihre Feier mehr genießen würde, wenn sie ihren Vorbereitungsstress reduzierte. Und sie könnte sich fragen, warum es ihr selbst so schwerfällt, andere um Hilfe zu bitten.

Nele Kreyßig

Nele Kreyßig ist Geschäftsführerin des HRperformance Instituts in Freiburg. Die HR-Fachfrau und Unternehmerin ist eine gefragte Dolmetscherin zwischen den Welten „Mensch“ und „Unternehmen“. Als Expertin für Persönlichkeit, Generationenvielfalt, Potenzialnutzung und moderne Führungshaltung zeigt Nele Kreyßig auf, wie viel Potenzial und Kapital in Unternehmen und in unserer Gesellschaft dadurch verloren geht, dass Menschen einander seltsam finden, nur weil sie „anders“ sind. Sie ruft auf zu einem gesunden Mix aus Kompetenzen, Persönlichkeiten, Altersstrukturen und Lebensvisionen. Seit 2014 ist sie als selbstständige Beraterin und Business-Trainerin bundesweit im Einsatz und berät Mittelständler und Konzerne. 2017 gründete sie mit Stefan Lapenat ihr eigenes Beratungsinstitut, in dem sie mit 15 Kollegen und Kolleginnen bundesweit daran mitwirkt, vorhandene Ressourcen und Potenziale in Menschen und Unternehmen nutzbar zu machen. Neben einem B.A. in Business Administration verfügt Nele Kreyßig über zahlreiche Zusatzqualifikationen als Business-Trainerin, Management-Coach, Expertin und Ausbilderin für die MotivationsPotenzialAnalyse MPA® und Trainerin und Coach für Stressmanagement. Sie ist Mitglied im Führungskreis des BDVT (Berufsverband für Training, Beratung und Coaching), Professional Member der GSA (German Speaker Association) und Mitglied bei den Wirtschaftsjunioren in Freiburg.